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Waschmaschine statt Weltmeisterschaft

Fast alle Rhein-Neckar Löwen sind zurzeit bei der Handball-WM am Ball. Wer nicht in Schweden weilt, trainiert hart – oder kümmert sich um alltägliche Probleme.

Er wirkt verzweifelt. Als Michael Müller an sein Handy geht, hat der sonst so witzige und sympathische Handballer des Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen nicht viel Zeit. Der Rückraumspieler hat ein Problem. Ein sehr großes sogar. „Ich brauche eine neue Waschmaschine“, sagt der 26-Jährige und lacht: „Mein Kleiderschrank ist leer, ich muss jetzt etwas dagegen tun.“ Eine Möglichkeit wäre es natürlich, sich neue Klamotten zu kaufen. Doch der Linkshänder macht Nägel mit Köpfen. Er entscheidet sich für eine pragmatische Lösung, leistet sich eine neue Waschmaschine – und bittet um einen späteren Anruf.

Eine Viertelstunde vergeht, dann hat Müller Zeit – aber auch gleich ein neues Problem. „Ich brauche einen Transporter. Irgendwie muss ich das Ding zu mir nach Hause bekommen“, meint der 1,97-Meter-Mann, der beim Tragen des neuen Haushaltsgeräts auch nicht auf die Hilfe seiner Teamkollegen zählen kann. Die sind nämlich fast alle bei der WM. „In der nächsten Woche ist ein Mannschaftstraining angesetzt. Ich bin gespannt, wie das aussehen soll“, rätselt Müller, der nach seiner schweren Knie-Verletzung im September noch sein Reha-Programm absolviert. Ebenfalls nicht in Schweden dabei sind der Schweizer Andy Schmid, der Kroate Ivan Cupic und Torwart Henning Fritz.

„Wir werden wohl keinen Ball in die Hand nehmen“, mutmaßt Schmid, der dann aber doch noch einen Vorschlag für die gemeinsame Einheit hat: „Cupic passt zu mir, ich werfe – und Fritz stellt sich ins Tor.“ Keine Frage: Auch der um einen flotten Spruch niemals verlegene Spielmacher hat seinen Humor nicht verloren – obwohl er die Weltmeisterschaft nur vor dem Fernseher verfolgen darf.

„Das bin ja schon gewohnt. Ich habe eben einen falschen Pass“, flachst Schmid, der seinen Humor nicht verloren hat: „Für uns Schweizer ist es einfach ungemein schwer, sich für eine Weltmeisterschaft zu qualifizieren.“ Er gesteht aber auch ein wenig Schmerz: „Natürlich tut es ein bisschen weh, wenn ich jedes Jahr im Januar eine WM oder EM nur als Zuschauer verfolgen kann. Jeder will bei solch einem Turnier dabei sein.“

Bis zum 10. Januar weilte Schmid bei der Nationalmannschaft, anschließend absolvierte er in seiner Heimat ein Lauf- und Krafttraining. Gestern kehrte er nach Heidelberg zurück. „Immerhin werde ich topfit sein, wenn die anderen Jungs von der WM zurückkommen“, versucht der 27-Jährige, das Positive an seiner Situation zu sehen: „Die vergangenen Monate waren anstrengend. Ich freue mich aber jetzt schon auf unser erstes Bundesligaspiel am 9. Februar gegen die HSG Ahlen-Hamm.“

Der Mittelmann sprüht vor Tatendrang. Er hat das Gefühl, etwas gutmachen zu müssen. Denn während sich die meisten seiner Klub-Kollegen auf die WM konzentrieren, denkt der Mann mit dem Dynamit im rechten Arm noch oft an das letzte Bundesligaspiel im vergangenen Jahr: die 31:35-Niederlage in Göppingen: „Dieses Erlebnis bekomme ich nicht aus dem Kopf. Wir haben katastrophal gespielt, unsere schlechteste Saisonleistung gezeigt. Und jetzt diese lange Pause – ich hätte danach lieber sofort in der Bundesliga weitergemacht.“

Auch Müller träumt davon, endlich wieder auf dem Feld zu stehen. Der Rückraumspieler arbeitet fieberhaft an seinem Comeback, will unbedingt noch in dieser Saison zurückkehren. Vorerst wird er aber der „Assistent“ von Trainer Gudmundur Gudmundsson bleiben. „Diese Aufgabe ist ganz nett, aber ich will sie nicht ewig übernehmen“, gibt der 26-Jährige zu. Er möchte lieber auf der Platte stehen, statt auf der Bank zu sitzen.

„Die Therapeuten sind mit meiner Genesung nicht ganz zufrieden – aber wann sind die das schon mal?“, scherzt Müller und gibt Entwarnung. Es gebe keinen Grund zur Beunruhigung, er sei auf einem guten Weg, versichert der Linkshänder, der verbissen um die Rückkehr in die Mannschaft kämpft. Momentan ist er davon noch ein Stück entfernt. Seine Qualitäten als Einzelkämpfer sind gefragt. Täglich – außer sonntags – quält er sich vier Stunden in der Reha. Springen, sprinten, laufen. Immer wieder.

„Das ist ganz schön anstrengend“, gesteht Müller, der nach seinem Training den Waschmaschinen-Kauf unter Dach und Fach bringt, „Jetzt bin ich eigentlich reif für die Couch“, meint der Rückraumspieler. Doch daraus wird so schnell nichts. Er braucht schließlich einen Transporter.

Von Marc Stevermüer

 23.01.2011