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Wieder Katzenjammer im Löwenlager

Kiel. Sie hatten sich viel vorgenommen, wollten glänzen, wollten zaubern, wollten ein dickes Ausrufezeichen im hohen Norden setzen. Doch letztlich war eigentlich alles wie immer, wenn der THW Kiel auf die Rhein-Neckar Löwen trifft, der Branchenführer von den „Besten aus dem Südwesten“ herausgefordert wird: Die „Zebras“ jubeln, die Löwen weinen, sind am Boden zerstört. Auch gestern herrschte wieder Katzenjammer im Löwen-Lager, der totale Frust. Die 31:30 (12:13)-Niederlage in Kiel, das Champions-League-Aus an der Ostsee, war ganz schwer zu verdauen. „Wir haben zwei Mal eine Topleistung abgerufen, haben es aber trotzdem nicht geschafft“, trauerte Löwen-Trainer Ola Lindrgen, „doch so ist eben der Sport.“

Und auch sein Personal, das sich toll verkaufte, hatte sichtlich daran zu knabbern. Manche blieben unmittelbar nach der Schluss-Sirene einfach stehen. Zu geschockt zum Laufen, zu enttäuscht zum Sprechen. Löwen-Torhüter Henning Fritz versuchte es trotzdem. Seine Schultern hingen, seine Augen starrten ins Leere: „Die schlechtere Chancenverwertung hat heute den Unterschied ausgemacht“, bilanzierte der Weltmeister von 2007, „aber das Gezeigte macht mir Mut.“ Los gegangen war es stimmungsvoll. Die Halle bebte, 10.250 Zuschauer gingen voll mit, entfachten einen Höllenlärm. Hexenkessel nennt man das. Es war nicht leicht, den Durchblick zu behalten.

Selbst Kent-Harry Andersson, der Sportliche Berater der Löwen, ließ sich anstecken, sprang mehrfach von der Spielerbank auf, schrie und fuchtelte mit den Armen hin und her. Gegen Ende der ersten Halbzeit wurde der Schwede dann ruhiger, entspannter. Uwe Gensheimer sei Dank. Der Friedrichsfelder mit dem „Gummiarm“ besorgte in der 28. Minute die erste Führung der Badener, traf zum 12:11. Auf den Rängen breitete sich derweil Unruhe aus, Verzweiflung. „Diese Löwen sind brandgefährlich, wir müssen höllisch aufpassen“, murmelte ein Kiel-Fan im Rentenalter, der hektisch an seinen Fingernägeln kaute.

Er spürte, dass der Gigant wankte, taumelte. Doch er fiel nicht. Was vor allem an einem Mann lag: Thierry Omeyer, dem französischen Torhüter. Er ist ein „Hexer“ durch und durch. Schon im Hinspiel hatte er den Unterschied ausgemacht, ohne den Altmeister hätte der THW wohl schon im Hinspiel alt ausgesehen. „Dieser Omeyer hat das Viertelfinale entschieden“, resümierte Andersson, „ansonsten waren wir definitiv ebenbürtig.“ Thorsten Storm, der Manager der Gelbhemden, schloss sich dem Statement an, nickte: „An ihm sind wir gescheitert – wieder einmal.“

Doch da war noch mehr, was den Gästen Probleme bereitete. Kiels Rückraum bekam man nur selten in den Griff. Filip Jicha und Co. Schraubten sich immer wieder hoch, ballerten aus allen Rohren. „Da sind sie schon sehr stark“, lobt Storm, „und sie machen eben auch die Big Shots.“

Beim Branchenführer sah man hernach nur glückliche Gesichter, erleichterte Mienen. Auch Alfred Gislason, Kiels Trainer, pustete tief durch: „Beide Mannschaften haben alles gegeben. Jeder musste hart kämpfen. Wobei der Sieg letztlich verdient gewesen ist.“

Fritz wollte dem nicht widersprechen. Doch er glaubt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich die Kräfteverhältnisse verschieben: „Wenn wir so weitermachen, werden wir sicher in absehbarer Zeit mal in Kiel den Bock umstoßen“, sprach’s und schaltete den Turbo ein. Die Löwen hatten es eilig. Der Bus lief nämlich schon: „Wir müssen schnell nach Hamburg, dort geht noch unser Flieger“, bat Andersson um Verständnis.

Auf dem Feld hat der THW die Löwen mal wieder abgewatscht, abgefangen. Doch abseits der „Platte“ brachten die Badener den Kielern offenbar eine schmerzliche Niederlage bei: Die Nordlichter sind aus dem Vertragspoker um Krzysztof Lijewski, der beim HSV Hamburg noch bis 2011 unter Vertrag steht, ausgestiegen. Die RNZ erfuhr davon bereits am vergangenen Freitag. Und nicht nur das: Kiel wirft den Löwen nun vor, dass sie die Preise kaputt machen würden. Demnach sollen die Löwen Lijewski mit einem Drei-Jahres-Vertrag ködern, der mit 1,25 Millionen Euro (Netto) dotiert ist. Storm dazu: „Diese Zahlen sind absoluter Blödsinn. Unser Etat ist immer noch kleiner als der von Kiel und Hamburg. Und die investieren auch nicht in Büromaterial – sondern in Personal.“

Das Interesse an Lijewski streitet er aber nicht ab. Im Gegenteil: „Er hat nicht bei uns unterschrieben. Dass man sich um solch einen Spieler bemüht, ist aber doch wohl klar. Zudem ist Karol Bielecki einer seiner besten Kumpels.“ Immerhin gibt es in der Torhüterfrage Entwarnung. Storm: „Szmal wird in der nächsten Saison bei uns bleiben.“ Gut wär’s …

Von Daniel Hund

 03.05.2010