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„Wir spielen endlich wieder zu Hause“

Oliver Roggisch vor dem Duell mit Vardar Skopje im Interview

Nach neun Auswärtsspielen in Folge spielen die Rhein-Neckar Löwen am kommenden Sonntag wieder zu Hause. Gegner ist dann der amtierende Champions League Sieger Vardar Skopje, der den Löwen am vergangenen Wochenende die erste Niederlage in der Königsklasse der laufenden Saison zufügte. Im Interview spricht Oliver Roggisch über die Belastung der vergangenen Wochen, die Stärken seiner Mannschaft um Spielmacher Andy Schmid und über mögliche Titelchancen in der laufenden Saison.

Oli, vor der Saison war der Weggang von Kim Ekdahl du Rietz ein großes Thema. Trotzdem gehört ihr jetzt zur Bundesliga-Spitzengruppe, seid im Pokal noch dabei und steht in der Champions League gut da. Wie habt ihr Kims Verlust kompensiert?

Oliver Roggisch: Es ist genau das passiert, was schon nach dem Weggang von Uwe Gensheimer geschehen ist. Uwe war ein herausragender Spieler mit großer Bedeutung für diesen Club, aber wir haben diese Lücke als Mannschaft geschlossen. Uwes Weggang war ja nicht nur in sportlicher Hinsicht ein Verlust, sondern auch für das Team. Das haben wir gemeinsam gelöst. Genauso ist es jetzt bei Kim gewesen. Mads Mensah hat einen großen Schritt nach vorne gemacht, ist konstanter geworden und füllt mit Momir Rinic und Filip Taleski die Lücke auf dem Feld. Abseits der Platte war Kim ein stets bestens gelaunter Typ, der immer für gute Stimmung gesorgt hat. Dieser Spaß und diese Freude in der Kabine ist mit seinem Weggang aber nicht verloren gegangen. Das zeigt mir einfach, dass diese Mannschaft lebt, dass sie harmoniert, dass sie sich entwickelt und über einen ausgeprägten Teamgeist verfügt.

Was sind die weiteren Erfolgsfaktoren?

Roggisch: Viele reden natürlich über Andy Schmid und auch Hendrik Pekeler. Was die beiden zusammen da geleistet haben, war wirklich Handball auf allerhöchstem Niveau. Aber auch alle anderen haben ihren Job richtig gut gemacht. Gedeón Guardiola kommt mir in der öffentlichen Anerkennung immer ein bisschen zu kurz, weil er nur in der Abwehr spielt. Aber dort macht Gedeon einen Riesenjob. Unser Torhüter-Duo spielt sehr konstant auf einem hohen Level. Alexander Peterson ist weiterhin ein sehr wichtiger Faktor in unserem Spiel und unsere Außen gehören zu den Besten der Liga.

Zuletzt wurde häufiger das Thema Andy Schmid und Welt-Handballer diskutiert. Hat er diese Auszeichnung verdient?

Roggisch: Wenn es allein nach der Angriffsleistung geht, ist er einer der besten Handballer der Welt. Wahrscheinlich ist Andy sogar der beste Spielmacher der Welt. Bei der Wahl des Welt-Handballers wird aber auch ganz gerne darauf geachtet, ob ein Spieler in Abwehr und Angriff überragende Leistungen bringt. Das kann man bei einer derart bedeutenden Auszeichnung verstehen – und das sieht Andy übrigens ganz genau so. Nikola Karabatic ist zum Beispiel ein Weltklassemann in Abwehr und Angriff. Trotzdem finde ich einfach, dass es Andy mal verdient hat, diese Auszeichnung zu gewinnen. Wer zuletzt vier Mal in Folge zum besten Spieler der Bundesliga gewählt wurde und konstant so starke Leistungen zeigt, sollte bis zu seinem Karriereende irgendwann auch mal Welt-Handballer gewesen sein.

Seine Nationalmannschaft wird ihm dabei leider wohl nicht helfen können. Die Schweizer gehören nicht zur internationalen Klasse.

Roggisch: Objektiv muss man natürlich sagen,dass es ohne Titel mit der Nationalmannschaft und ohne die großen Bühnen wie EM, WM oder Olympia schwer ist, diese Auszeichnung zu holen. So wie ich Andy kenne, würde er den Titel Welthandballer aber immer gegen einen Titel mit den Löwen tauschen.

Andy brilliert im Zusammenspiel mit Hendrik Pekeler, aber auch in der Abwehr gab es eine neue Variante mit einem Außenspieler auf der Spitze. Ist diese Flexibilität euer Trumpf?

Roggisch: Sicherlich. Wir beherrschen unglaublich viele Systeme und unser Trainer Nikolaj Jacobsen lässt sich immer etwas Neues einfallen. Es geht aber nicht nur darum, variabel zu sein und taktische Alternativen zu haben. Vor allem ist es wichtig, den Mut aufzubringen, eine neue Formation im Ernstfall dann auch spielen zu lassen, obwohl man sie gar nicht monatelang einstudiert hat. Diesen Mut und dieses Vertrauen in seine Spieler hat Nikolaj. Dafür gebührt ihm ein riesiges Lob. Noch dazu hat er ein feines Gespür dafür, wann er etwas verändern muss. 5:1- oder 6:0-Abwehr, Sieben gegen Sechs im Angriff – in der Regel trifft Nikolaj im richtigen Moment die richtige Entscheidung.

Im November musstet ihr viele Auswärtspartien bestreiten. Manch ein Spieler sagt, dass nicht die vielen Spiele, sondern die Reisen das größte Problem sind.

Roggisch: Der November war diesmal sicherlich ein Ausnahmemonat. So viele Auswärtsspiele in so kurzer Zeit sind ja eigentlich nicht die Regel. Nun haben wir viel Zeit im Bus, Flieger oder Hotelzimmer verbracht. Aber so sieht nun mal das Leben eines Handballprofis aus. Jeder muss daraus das Beste machen, und jeder geht mit diesen Reisen anders um. Einer liest ein Buch, der andere lernt Deutsch, der nächste schaut einen Film.

Richtig stark habt ihr euch auch in der Champions League präsentiert. In den letzten Jahren war stets in der ersten K.o.-Runde Schluss.

Roggisch: Es war ärgerlich, weil es immer knapp war und es gegen Zagreb und Kiel vor allem daran gelegen hat, dass wir die Hinspiele nicht deutlicher gewonnen haben – obwohl wir die Möglichkeiten dazu hatten. Nach so einer langen und anstrengenden Gruppenphase will man ja weiterkommen und nicht sofort ausscheiden. Es wäre schön, wenn uns das diesmal gelingt. Aber einfach wird das nicht.

Mit Kielce und Skopje gewannen in den vergangenen Jahren zwei Überraschungsmannschaften die Champions League. Wäre solch ein Coup der Löwen denkbar?

Roggisch: So weit denke ich nicht. Wie gesagt: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es schon ab dem Achtelfinale richtig schwer wird und es eine entsprechend große Herausforderung ist, überhaupt die Endrunde zu erreichen. Wenn man diesen brutal schwierigen Schritt gemacht hat, ist sicherlich alles drin. Das haben Kielce und Skopje gezeigt. Aber wenn wir über einen möglichen Titelanwärter in diesem Wettbewerb sprechen, muss an erster Stelle natürlich Paris Saint-Germain genannt werden. Die haben eine Wahnsinnstruppe, waren jetzt ein paar Mal beim Final Four dabei und sind eigentlich mal dran. Uwe Gensheimer ist nach Paris gegangen, um diesen Titel zu gewinnen. Und mit dieser Mannschaft sollte das auch machbar sein.

Ihr habt am vergangenen Samstag bei Vardar Skopje verloren, am kommenden Sonntag kommt es um 19 Uhr zum Rückspiel in der SAP Arena. Was macht dir Hoffnung, dass ihr die Mazedonier dort bezwingen könnt?

Roggisch: Nach neun Auswärtsspielen in Folge spielen wir endlich wieder zu Hause, vor unseren Fans. Wir haben in Skopje erlebt, was die Unterstützung von den Rängen ausmachen kann. Vardar ist der amtierende Champions League Sieger und auch dieses Jahr wieder eine der besten Mannschaften in Europa. In Skopje waren sie uns klar überlegen, was auch ein wenig mit unserem harten Programm zu tun hat. Und auch jetzt müssen wir am Donnerstag erst noch in der Bundesliga bei Frisch Auf! Göppingen antreten, während Vardar eine Woche Zeit hat, sich auf das Rückspiel in Mannheim vorzubereiten. Keine Frage, es wird richtig schwer, aber an einem guten Tag können wir auch Skopje schlagen.

Flensburg und Kiel sind aus dem Pokal ausgeschieden. Spürt ihr einen besonderen Druck in diesem Wettbewerb?

Roggisch: Nein. Über den Pokal reden wir ehrlich gesagt nicht mehr großartig. Über die Historie der Löwen in diesem Wettbewerb sind alle im Bilde. Das müssen wir intern jetzt nicht noch zusätzlich thematisieren und alle verrückt machen. Wenn wir das Final Four erreichen und somit die Chance bekommen sollten, diesen Pokal zu holen, werden wir alles dafür tun, um zu gewinnen. So war es in den vergangenen Jahren aber auch. An einem Final-Four-Wochenende kann allerdings immer alles passieren und eine Mannschaft über sich hinauswachsen, die zuvor keiner auf dem Zettel hatte.

Die Gäste der SWR-Sendung „Sport im Dritten“ müssen stets an einer Dartscheibe ran. Seit Wochen steht Oliver Roggisch auf Platz eins. Ist Darts deine zweite große Leidenschaft neben Handball?

Roggisch: Früher habe ich häufiger gespielt, zuletzt eher weniger. Eines meiner letzten Matches war gegen Jennifer Kettemann in der Geschäftsstelle. Sie hat mich geschlagen, eine Revanche hat sie mir nicht gegönnt. Danach war ich bei Sport im Dritten – und da habe ich mein wahres Leistungsvermögen abgerufen (lacht).