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„Das Ziel kann nächstes Jahr nur Angriff lauten“ (MM)

Uwe Gensheimer über das dramatische Saisonfinale, die Diskussion um das verhängnisvolle Torverhältnis und den Umbruch bei den Rhein-Neckar Löwen

MANNHEIM. Niemand hatte sich den Titel wohl sehnlicher gewünscht als Kapitän Uwe Gensheimer. Der gebürtige Mannheimer ist das Gesicht des Löwen-Projekts, im vergangenen Oktober sagte er Kiel und Barcelona ab, um mit „seinen“ Löwen Titel zu gewinnen. Dass es nun wegen zwei Toren nicht geklappt hat, frustrierte auch den Weltklasse-Linksaußen über die Maßen. Doch nach dem Abschiedsspiel von Oliver Roggisch war wieder Entschlossenheit in Gensheimers Gesicht zu lesen. „Uns wurde etwas weggenommen, was wir eigentlich verdient hatten. Mit diesem Gefühl im Bauch kann es in der nächsten Saison nur den nächsten Angriff geben“, beschreibt Gensheimer in folgendem Interview seine Gefühlslage.

Herr Gensheimer, haben Sie schon einen Weg gefunden, das in Gummersbach erlebte zu verdauen?

Uwe Gensheimer: Oliver Roggischs Abschiedsspiel und die Art und Weise, wie uns die Fans dabei aufgenommen haben, hat schon über einige Tränen hinweggeholfen. Aber es ist natürlich noch in unseren Köpfen und wir müssen das verarbeiten. Uns wurde etwas aus der Hand gerissen, was wir eigentlich verdient hatten. Das Gefühl, uns das zurückholen zu wollen, müssen wir in die neue Runde mitnehmen und das auch den neuen Spielern einimpfen.

Haben Sie schon eine Erklärung für das, was am Samstag schiefgelaufen ist?

Gensheimer: Wir wussten im Voraus, dass es mit einem Fünf-Tore-Sieg wohl nicht reichen würde, weil der THW und wir zuletzt sehr klare Ergebnisse abgeliefert haben. Wir haben es in Gummersbach nicht geschafft, das Maximale abzurufen. Wir hätten sicher höher gewinnen können und dann hätte es vielleicht gereicht – aber diese Diskussion ist jetzt müßig.

Hatten die Löwen von Berlin mehr Gegenwehr in Kiel erwartet?

Gensheimer: Erhofft hatten wir uns das schon, aber es sind ja in den vergangenen Wochen einige Spiele so gelaufen, dass der Gegner sich am Ende kaum noch gewehrt hat. Davon haben wir ja zum Beispiel gegen Eisenach auch profitiert. Aber wir wollten eigentlich in erster Linie auf uns selbst schauen und hatten ja lange alles in eigener Hand. Wir wussten auch keine Zwischenstände während des Spiels, sondern wollten das Maximale herausholen. Das ist uns leider nicht gelungen.

Nachdem die Meisterschaft nun erst zum zweiten Mal über das Torverhältnis entschieden wurde und die Winzigkeit von zwei Toren den Ausschlag gegeben hat, wurde viel über diese Regelung diskutiert. Was halten Sie persönlich von diesem Reglement?

Gensheimer: Mal ganz unabhängig davon, dass eben jetzt wir unter dieser Regelung zu leiden hatten – ich finde, dass der direkte Vergleich in diesem Fall die bessere Lösung wäre, weil er eben auch die anderen Mannschaften schützt. Die ganzen Diskussionen über Lemgo, Eisenach oder Berlin müsste man dann gar nicht führen. Einige Teams, für die es eben nicht mehr um alles geht, bilden bei der aktuellen Regelung dann immer auch Angriffsfläche. Dabei ist es doch nur menschlich, dass man da auch mal einen Gang rausnimmt – unabhängig davon, ob es jetzt für uns von Vorteil gewesen wäre oder nicht.

Vize-Meister, alle Heimspiele gewonnen, Auswärtssieg-Rekord und andere Sternstunden, aber auch brutale Enttäuschungen – die Saison war eine echte Achterbahnfahrt der Emotionen. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Gensheimer: Im Endeffekt war es die sportlich beste Saison der Löwen, das muss man zunächst einmal feststellen. Aber wir haben es auf der anderen Seite in drei Wettbewerben eben nicht geschafft, etwas in der Hand zu halten. Da war sicher mehr drin. Dennoch werden wir Spiele wie die gegen Kiel oder Barcelona und die Stimmung, die hier in der Halle geherrscht hat, sicher nie vergessen.

Jetzt kommen ein neuer Trainer und fünf neue Spieler. Umbruch und auch eine neue Chance?

Gensheimer: Ja, das Trainer-Team wurde verabschiedet und gleich sieben Spieler, das ist wirklich ein Umbruch. Ich hoffe deshalb, dass wir es so schnell wie möglich schaffen, den Geist, der in dieser Mannschaft gelebt hat, auf den künftigen Kader zu übertragen. Ich denke, Nikolaj Jacobsen wird nicht so viel an unserem Spielsystem ändern, aber jeder Trainer hat natürlich seine eigenen Ideen. In der Vorbereitung muss sich dann zeigen, wie schnell wir es schaffen, diese Ideen umzusetzen und die neuen Spieler zu integrieren.

Haben Sie schon Lust auf die neuen Löwen?

Gensheimer: Ehrlich gesagt: Nach diesem Saisonfinale möchte ich erst einmal ein wenig abschalten. Aber es stehen ja noch zwei wichtige Spiele mit der Nationalmannschaft gegen Polen an. Das hat zunächst Priorität.

Wie sieht da der Fahrplan aus?

Gensheimer: Der Lehrgang hat direkt nach Oli Roggischs Abschiedsspiel begonnen, wobei das Pensum in den ersten Tagen noch etwas reduziert ist. In der Woche vor dem Hinspiel am 7. Juni werden wir dann aber natürlich Vollgas geben.

Dann geht es wieder einmal um alles . . .

Gensheimer:  Ja, es geht um sehr viel. Polen ist ein ganz starker Gegner, aber wir wollen auch mal wieder bei einem großen Turnier dabei sein.

Von Thorsten Hof