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„Alle müssen Abstriche machen“ (MM)

Löwen-Manager Thorsten Storm spricht über die Saison, den Druck, die finanziellen Zwänge und anstehende Vertragsgespräche mit Leistungsträgern

MANNHEIM. Die Saison 2012/2013 – sie war für die Bundesliga-Handballer der Rhein-Neckar Löwen zu Beginn ein Start in eine ungewisse Zukunft. Doch schnell zeigte sich: Diese Mannschaft passt zusammen – sportlich und menschlich. Der EHF-Cup wurde gewonnen, die Champions League schon vor dem letzten Heimspiel am Samstag (16.30 Uhr) gegen HBW Balingen-Weilstetten direkt erreicht. Im Interview zieht Manager Thorsten Storm Bilanz.    

Herr Storm, was war Ihr schönstes Erlebnis in dieser Saison?

Thorsten Storm: Der Schlusspfiff im Finale des EHF-Cups in Nantes. Ich war in diesem Augenblick total leer. Es war, als wenn mir jemand in diesem Moment alle Kraft und Gedanken aus dem Körper und dem Kopf gezogen hätte. Aber es fühlte sich irgendwie gut an. Ich saß da und blickte auf Uwe Gensheimer . . .

… der ein sensationelles Comeback feierte und den Titel erst einmal ganz allein genoss. Wie wichtig war dieser Erfolg?

Storm: Es ist ein historischer Titel, der erste in unserer Klubgeschichte. Dieser Triumph ist wie eine Befreiung und tut unseren Fans unheimlich gut.

Die Löwen ärgerten in der Liga lange den THW Kiel. Hat das für Genugtuung nach der Kritik in den vergangenen Jahren gesorgt?

Storm: Die Kritik war ja berechtigt. Vieles, was hier gelaufen ist, war falsch. Somit war diese Spielzeit in dieser Hinsicht, was meine Arbeit betrifft, in jedem Fall viel besser als zuvor. Aber Genugtuung verspüre ich selbst nicht.

Sie betonen immer wieder die Altlasten, die den Klub noch finanziell belasten. Wie lange werden die Löwen daran noch leiden?

Storm: Einen Fast-Totalschaden kann man nicht in einer Saison reparieren. So etwas braucht Zeit und wird sicher noch ein bis zwei Jahre andauern. Aber wir werden weiter kämpfen und ich hoffe, die Jungs wollen zusammenbleiben.

Wie sehr hilft die Champions League in finanzieller Hinsicht?

Storm: Sie hilft eigentlich nur, wenn wir das Final Four in Köln erreichen. Wir sind in dieser Hinsicht leider nicht im Fußball. TV- und Marketing-Gelder sind begrenzt und erreichen die Klubkassen nur bedingt. Der Topf ist zu klein. Und man darf auch nicht vergessen, dass man mehr Spieler für eine solche Champions-League-Saison braucht.

Ex-Mäzen Jesper Nielsen hat seine Anteile an den Löwen zurückgegeben. Warum ist es so schwer, einen neuen Gesellschafter zu finden?

Storm: Auch hier gilt: Handball ist nicht Fußball. Der Handball insgesamt hat sich in den zurückliegenden Jahren im Sponsoring und in den Medien nicht gut entwickelt. Und speziell unser Image lag gerade durch diese Zeit am Boden. Wir brauchen einen neuen Gesellschafter, das ist klar. Aber er muss auch zu uns passen.

Kapitän Uwe Gensheimer fehlte ein halbes Jahr, viele andere Spieler verletzten sich auch. Alexander Petersson quält sich seit Monaten angeschlagen durch die Spiele und wird wohl auch noch operiert. Wie ist die Mannschaft mit diesen Rückschlägen umgegangen?

Storm: Die Jungs haben alles weggesteckt und unser Trainer Gudmundur Gudmundsson hat sich immer wieder etwas einfallen lassen. Im EHF-Cup-Finale hat man gesehen, was Uwe Gensheimer für das Team bedeutet. Ein gesunder Alexander Petersson ist zudem ein Führungsspieler mit Sogwirkung für alle anderen. Kim Ekdahl du Rietz hat die leichten Tore aus dem Rückraum gemacht. Das alles hat zu lange gefehlt. Aber ich bin sehr zufrieden mit dieser Saison.

War vielleicht noch mehr drin?

Storm: Möglicherweise. Aber wie gesagt: Das Verletzungspech hat uns gestoppt und ich glaube, dass wir uns mit Blick auf unsere sportlichen Möglichkeiten eigentlich am Maximum bewegt haben. Wenn man allerdings sieht, wie Alexander Petersson in der Hinrunde gespielt hat, als er noch gesund war, und dazu die zehn Tore von Uwe Gensheimer im EHF-Cup-Finale nimmt, dann wäre möglicherweise mehr drin gewesen. Aber nur dann.

Wie bewerten Sie die Arbeit von Trainer Gudmundsson?

Storm: Gudmundur hat einen sehr guten Job gemacht. Er gibt immer alles. Wir ergänzen uns zudem gut. Dafür muss man nicht immer einer Meinung sein. Es geht darum, alles aus seinen gemeinsamen Möglichkeiten für den Klub herauszuholen.

Vor der Saison sagten Sie: „Unser Trainer hat die Aufgabe, Spieler aus dem Nachwuchs einzubauen.“ Hat er diese Vorgabe erfüllt?

Storm: Zunächst einmal geht es um sportlichen Erfolg. Den haben wir in diesem Jahr mehr denn je gebraucht und erreicht. Der erste große Titel ist geschafft. Und es stimmt nicht, dass dieser Europacup ein Bonbon obendrauf war. Das habe ich gesagt, um den Jungs den Druck zu nehmen. Wir mussten diesen Titel jetzt gewinnen. Das wusste Gudmundur. Und wenn ich auf das Siegerfoto schaue, sehe ich mit Nils Kretschmer, Marius Steinhauser, Kevin Bitz, Jonas Maier, Denni Djozic und David Schmidt eine Menge Nachwuchskräfte darauf.

Im Sommer 2014 enden zahlreiche Verträge von Leistungsträgern. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in diese Gespräche?

Storm: Es ist keine leichte Aufgabe, Topspieler wie Uwe Gensheimer, Patrick Groetzki, Bjarte Myrhol, Goran Stojanovic oder Andy Schmid zu halten. Aber es ist insgesamt auch eine Chance. Alle werden Abstriche machen müssen, das wäre aber auch in anderen Klubs der Fall. Hier bei uns stimmt die Perspektive.

Beim Primus THW Kiel steht ein Umbruch an. Ist Ihr Klub 2013/2014 ein Meisterschafts-Anwärter?

Storm: Für mich ist der THW nach wie vor der Titelkandidat Nummer eins. Die Kieler stehen zwar vor einem Umbruch, aber wenn es für den THW vorher eine 95-prozentige Chance auf den Titel gab, dann liegt sie jetzt immer noch bei 70 Prozent. Bei uns wird vieles davon abhängen, ob wir von Verletzungen verschont bleiben und wie schnell Alexander Petersson zurückkommt.

Von Marc Stevermüer