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Alles bereit für das Abschiedsgeschenk (BNN)

Im letzten Heimspiel von Gensheimer machen die Löwen den vorletzten Schritt zum Titel

Entrückt und aufgewühlt blickte Uwe Gensheimer zur Hallendecke, an die das Plakat mit seinem Namen und der Nummer 3 hochgezogen worden war, dann brachen erst die Dämme und später seine Stimme. Als nach den „Uwe-Uwe“-Sprechchören der 13 200 Zuschauer aus den Lautsprechern die Songzeile „Niemals geht man so ganz“ dröhnte, pustete der Kapitän der Rhein-Neckar Löwen durch und wischte sich mit dem Trikot die nicht nur schweißnassen Augen trocken.

Die emotionale Abschiedszeremonie nach seinem letzten Heimspiel für die badischen Löwen ging dem zu Paris St. Germain wechselnden Lokalmatador mehr unter die Haut, als er gedacht hatte. „Es ist noch schlimmer, als ich mir das vorgestellt habe. 13 Jahre in einem Verein gehen nicht spurlos an einem vorbei. Dieser Verein wird mir immer am Herzen liegen“, gab Gensheimer nach dem 27:23(17:11)-Sieg über die TSV Hannover-Burgdorf ergriffen zu, ehe der gebürtige Mannheimer die Fans in der SAP-Arena nach warmen Worten und großen Gesten daran erinnerte, dass seine Mission noch nicht beendet ist: Nächste Woche „haben wir auch noch was vor“.
Am Sonntag nämlich will der Tabellenführer der Handball-Bundesliga die deutsche Meisterschaft perfektmachen. Am letzten Spieltag müssen die Löwen beim längst abgestiegenen TuS Nettelstedt-Lübbecke antreten, wo ihnen bereits ein Punkt zum Titelgewinn reichen würde, weil der einen Zähler zurückliegende Verfolger SG Flensburg-Handewitt, der gestern beim TVB Stuttgart mit 28:18 gewann, die deutlich schlechtere Tordifferenz aufweist. Es soll das perfekte Abschiedsgeschenk von und für Gensheimer sein.
Der Noch-König der Löwen ging vom Start weg voran. Er wollte sentimentale Gedanken erst gar nicht an sich herankommen lassen und legte sich deshalb gleich maximal ins Zeug. Es half, dass schon nach 38 Sekunden der erste Siebenmeter fällig war. Zwar parierte der Gäste-Torhüter Martin Ziemer den Wurf, doch im zweiten Versuch brachte Gensheimer den Ball mit einem sehenswerten Dreher im Tor unter. Und auch am 2:0 war er maßgeblich beteiligt, denn er eroberte am eigenen Kreis den Ball und schickte Alexander Petersson auf die Reise. Und das 3:0 machte Gensheimer dann wieder selbst, keine drei Minuten waren gespielt.
Ganz so geschmeidig sollte es für den designierten Meister dann doch nicht weitergehen, aber der Widerstand der Gäste hielt sich in Grenzen. Nach 17 Minuten traf Gedeon Guardiola zum 10:4. Es war die erste Sechs-Tore-Führung, die auch nach 30 Minuten zu Buche stand. Fünf der 17 Treffer des ersten Durchgangs, dessen spektakulärste Szene eine Parade des in Unterzahl ins Tor zurückgeeilten Spielmachers Andy Schmid bei Kai Häfners Wurf war, gingen auf das Konto von Gensheimer.
In der 42. Minute verpasste der Kapitän die mögliche zweistellige Führung, als er vom Strich den Ball neben das Tor drehte. Drei Minuten später war dann beim Stand von 25:17 Schichtende für Gensheimer. Er umarmte Stefan Sigurmannsson, als er von dem später ebenfalls verabschiedeten Isländer abgelöst wurde, und kehrte nur noch für einen weiteren Siebenmeter auf die Platte zurück. Seinen letzten Wurf in einem Heimspiel im Löwen-Trikot vergab er dann aber allzu lässig.
Ursache oder nicht? Ohne den Kapitän verloren die Löwen in der Schlussphase der Begegnung plötzlich den Faden. Mehr als 13 Minuten lang gelang ihnen kein Treffer, nach einem 0:5-Lauf beendete erst Harald Reinkind mit dem Tor zum 26:21 (54.) die Flaute. Den Zuschauern, die auch noch Abwehrspezialist Stefan Kneer und Torhüter Borko Ristovski ein letztes Mal bejubeln durften, war’s egal. Sie feierten die Mannschaft schon Minuten vor dem Schlusspfiff, als hätte sie den Titel schon in der Tasche. Und dann vor allem die Identifikationsfigur der Löwen aus Mannheim-Friedrichsfeld, die in Lübbecke final die Meisterschale stemmen dürfte.
Von Reinhard Sogl