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Auf den Geschmack gekommen (MM)

Nach dem ersten Titelgewinn der Vereinsgeschichte würden die Löwen gerne nachlegen – doch das wird sehr schwer

MANNHEIM. Irgendwo im Hinterkopf sind sie noch. Die Erinnerungen an diesen historischen Triumph, den umjubelten Sieg im EHF-Pokal. Keine Frage: Niemand bei den Rhein-Neckar Löwen wird den 19. Mai 2013 vergessen, als endlich die erste Trophäe der Vereinsgeschichte gewonnen wurde. Der Europapokalsieg befreite den Klub nach vielen Niederlagen von einer Last. „Rund um diesen Titel wurden unglaublich viele Tränen vergossen. Ein Meer davor, ein Bächlein danach“, drückt es Regisseur Andy Schmid nicht gewohnt witzig, sondern diesmal pathetisch aus. Der Schweizer und seine Kollegen sind auf den Geschmack gekommen. Es gibt nichts Schöneres als Siege. Das Problem: In dieser Saison wird es ungleich schwerer, eine Trophäe zu holen. In Bundesliga, Pokal und Champions League sind die Löwen ambitioniert, aber nicht favorisiert.

Einfache Erfolgsformel

„Die Vergangenheit zählt nicht mehr, sondern die Zukunft“, sagt Trainer Gudmundur Gudmundsson, der in der vergangenen Runde vor allem eines machte: unter schwierigen Bedingungen einen herausragenden Job. Die Saisonvorbereitung war kurz, der Kader komplett neu, das Verletzungspech groß. Doch der Coach holte das Optimale heraus, formte eine Einheit, die vor allem taktisch blendend eingestellt war.

Konsequent geht der akribische Analytiker aus Island auch weiterhin seinen Weg. Der 52-Jährige weiß, dass er es nicht immer allen recht machen kann. Das ist das Los eines Trainers, dessen Erfolgsformel einfach klingt. Immer nur an das nächste Spiel denken und stets bescheiden bleiben. „Wir wollen in der Bundesliga einen Platz unter den ersten fünf Mannschaften erreichen. Das wird schwer genug“, sagt Gudmundsson und verweist auf die Zusatzbelastung auf der europäischen Bühne.

Nach zweijähriger Abstinenz messen sich die Löwen endlich wieder mit dem kontinentalen Handball-Hochadel: „Champions League ist Champions League.“ Soll heißen: In der Königsklasse ist nicht nur alles ein bisschen glamouröser, sondern die Chance auf einen Titel auch ein wenig kleiner als im EHF-Cup. Rechtsaußen Patrick Groetzki stört das nicht: „Große Hallen, große Klubs, große Stars. Dazu die Hymne vor den Spielen. Darauf freuen wir uns sehr.“

Doch erst einmal steht Hausmannskost auf dem Speiseplan. Am Samstag (19 Uhr) sind im kniffligen Auftaktspiel bei HBW Balingen-Weilstetten Kämpferqualitäten gefragt. Bei den „Galliern von der Alb“ geht es traditionell hoch her, blaue Flecken sind garantiert. „Das ist eine schwere Aufgabe, aber wir müssen sofort punkten“, sagt Bjarte Myrhol. Die Löwen fahren mit Respekt nach Balingen, aber auch mit Selbstbewusstsein. Der Turniersieg zuletzt in Ilsenburg tut gut. „Die ersten Testspiele waren nicht so toll, aber am zurückliegenden Wochenende haben wir uns sehr gesteigert“, freut sich Kim Ekdahl du Rietz.

Was auch daran liegt, dass die Neuzugänge immer besser zum Zug kommen. Durch Sergei Gorbok, Nikola Manojlovic und Runar Karason sind die Personaloptionen größer geworden. „Wir haben uns innerhalb unseres wirtschaftlichen Rahmens sinnvoll verstärkt. Noch so eine Saison auf der Rasierklinge darf man dieser Mannschaft nicht zumuten“, sagt Manager Thorsten Storm.

Er kann stolz auf seine Transferaktivitäten sein, denn ab jetzt ist jede Position doppelt besetzt. Wenn die Verletzten Zarko Sesum und Alexander Petersson zurückkehren, wird es insbesondere im Rückraum ein Hauen und Stechen geben. „Das freut natürlich jeden Trainer, wenn er eine große Auswahl hat und die Belastung verteilen kann. Gerade die Champions League wird uns alles abverlangen – und deshalb brauchen wir diesen breiten Kader. Was alles passieren kann, sehen wir an der aktuellen Verletztenliste“, sagt Gudmundsson.

Zusätzlich angefacht wird der Konkurrenzkampf, weil mehr als ein Dutzend Spielerverträge am Saisonende auslaufen. Nicht jeder kann davon ausgehen, auch im Sommer 2014 noch ein Löwe zu sein. Karason und Isaías Guardiola duellieren sich um den Platz hinter dem gesetzten Petersson. Sesum, Gorbok und Manojlovic stehen ebenfalls im direkten Wettstreit. Das kann zu Unruhe führen – aber auch einen ganz anderen Effekt haben: Sie alle müssen sich mit Leistung für eine Weiterverpflichtung empfehlen.

Von Marc Stevermüer