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Auf Löwen wartet das Pflichtprogamm

Mannheim. Es war ein königlicher Abgang. Er hatte etwas Erhabenes, erinnerte an einen großen Feldherren. Sprechchöre und rhythmisches Klatschen begleiteten Gudmundur Gudmundsson, den kleinen Isländer, den Trainer der Rhein-Neckar Löwen, auf dem Weg in die Katakomben. Die Fans riefen seinen Namen. Erst einer, dann zwei, dann ganz viele. Und „Gudmi“? Der nahm den Ball auf, dankte es ihnen mit einer spontanen Geste: Er reckte seinen Sympathisanten die Faust entgegen, die Siegerfaust. Und das trotz eines Unentschiedens, eines 27:27-Remis gegen Croatia Zagreb. Doch das schmeckte wie ein Sieg, reichte ja auch zum Einzug ins Viertelfinale der Champions League.

Sekunden später, genau in dem Moment, als der 50-Jährige den Arena-Bauch erreicht hatte, senkte er den Arm wieder. Hier, in der Abgeschiedenheit der langen, sterilen Gänge, kam er runter, schaltete sofort ab. Und plötzlich waren da irgendwie nur noch seine Backen, dick und prall, voll mit Luft gefüllt, aufgeblasen bis zum Maximum, um sie dann in Sekundenbruchteilen wieder auf Normalmaß schrumpfen zu lassen: „Puhhhhhhhhh“, machte es. Vor allem vor Freude, aber auch vor Erleichterung: „Das war ein ganz hartes Stück Arbeit“, sagte er, „und zwar gegen einen Gegner, der viele starke Spieler in seinen Reihen hat.“

Leichter wird es nun aber nicht mehr werden, eher schwerer. Denn die Königsklasse biegt so langsam aber sicher auf die Zielgerade ein: Viertelfinale, letzte Acht, europäische Schwergewichte unter sich. Wen es zu erlegen gilt, entscheidet sich am Montagabend. Dann ist Auslosung. In Wien rotieren die Kugeln. Manager Thorsten Storm lässt sich das nicht entgehen. Er wird die Daumen drücken. Einen Wunschgegner hat er nicht, aber einen, dem er aus dem Weg gehen will: Kiel. „Die müssen es nicht unbedingt sein“, schmunzelt der Ex-Kieler, „mir wäre einer der anderen lieber.“

Patrick Groetzki, die rechte Flügelwaffe der Löwen, denkt da sicher ähnlich, lässt sich aber nicht in die Karten schauen. Der Pforzheimer: „Wir warten einfach mal ab, nehmen es, wie es kommt.“ Bei ihm kam die Freude über das europäische Ausrufezeichen noch nicht so durch. Nachdenklich blickte er in der Mixed-Zone, dem Treffpunkt für Spieler und Journalisten, drein. Aus seiner Sicht hatte der Abend nämlich einen kleinen Makel: „Unser Angriffsspiel“, sagte er, „unser Angriffsspiel war heute leider etwas zu statisch.“ Das ehrt ihn, unterstreicht seinen Ehrgeiz, sein Streben nach Perfektion. Ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl hat er auch. Angesprochen auf eine ausgiebige Viertelfinal-Einzugs-Party, sprich auf eine unmittelbar folgende lange, feuchtfröhliche Nacht, begann er zu grinsen. Aber eher aus Höflichkeit: „Na ja, das ist aktuell etwas schlecht. Wir spielen ja schon am Sonntag um 17.30 Uhr wieder in Melsungen.“ Stimmt. Dort ist ein Sieg Pflicht, bei einem Blick auf die Tabelle sowieso. Groetzki, der Angriffslustige: „Momentan liegen wir nur noch zwei Punkte hinter Kiel.“

Widerspruch zwecklos, Storm versucht es trotzdem, sagt: „Jedoch eben auch nur zwei vor Berlin. Ich persönlich lasse die Kirche da lieber im Dorf.“ Gelacht hat er dabei trotzdem. So, als hätte er genau das Gegenteil gemeint. Pokerface nennt man das. Denn eines ist klar: Auch Storm strebt immer nach dem Optimum. Und dass die Zebraherde von der Ostsee zuletzt ein wenig orientierungslos durch die Handball-Bundesliga galoppierte, ist niemandem entgangen. Die Heimpleite gegen Großwallstadt – die erste nach 1.239 Tagen – kam einem Erdrutsch gleich. Das sollte den Löwen, die am kommenden Mittwoch in Kiel gastieren, Mut machen.

Doch zunächst interessiert nur Melsungen. Groetzki warnt: „Ein Ausrutscher wäre fatal.“ Apropos Melsungen, die Nordhessen hatten am Donnerstag einen Spion in der Mannheimer SAP Arena. Michael Roth, der Ex-Krösti, der mittlerweile in Melsungen sein Fachwissen als Trainer weiter gibt, schaute ganz genau hin. Ob in Melsungen dann auch mal wieder Löwen-Hauptsponor und Aufsichtsratsboss Jesper Nielsen sein wird? Beim Knaller gegen Zagreb fehlte er jedenfalls. Überrascht hat das nur bedingt: Selbst im Aufsichtsrat soll nach RNZ-Infos Eiszeit herrschen. Demnach ist Nielsen komplett isoliert, keiner spricht mehr mit ihm. Selbst die Fans sollen ihm ein weniger freundliches Schreiben geschickt haben.

Von Daniel Hund

 02.04.2011