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Aus Enttäuschung wird Ehrgeiz (MM)

Mit neuem Trainer und großer Entschlossenheit trotzen die Löwen den Querelen und wollen wieder angreifen

MANNHEIM. Nikolaj Jacobsen weiß, wie es sich anfühlt, der umjubelte Sieger zu sein. Er hat es oft erlebt. Als Spieler. Als Trainer. 16 große Titel pflastern seinen Weg. Meisterschaften, Pokalsiege, Europapokal-Triumphe. „Ich bin es gewohnt, oben mitzuspielen. Dann fühle ich mich am besten“, sagt der neue Trainer der Rhein-Neckar Löwen.

Das hört sich erst einmal gut an. Und vor allem selbstbewusst. Der Däne geht in die Offensive, will der Mannschaft seine Handschrift verpassen. Doch er weiß auch: Die Fußstapfen seines Vorgängers Gudmundur Gudmundsson sind groß, auch wenn der Isländer in einem echten Herzschlag-Finale die deutsche Handball-Meisterschaft in der vergangenen Saison knapp verpasste. Der Krimi von Gummersbach – er endete mit einem Trauma und nicht mit dem Titel.

„Wille ist ungebrochen“

Sind da Nachwirkungen zu befürchten? Jacobson verneint das. Mit einigen Führungsspielern suchte der 42-Jährige zuletzt das Gespräch. Er horchte in die Profis hinein – und spürte vor allem eines: noch mehr Gier, noch mehr Lust, noch mehr Wille. Aus der Enttäuschung ist Ehrgeiz, aus Trauer Trotz geworden. „Die Motivation ist riesig, den letzten Schritt auf dem Weg zum Titel zu gehen“, sagt der Trainer.

Verlassen kann er sich dabei auf seinen Anführer: Uwe Gensheimer. Der Mannheimer ist der Kapitän. Die personifizierte Entschlossenheit. „Das Ziel kann nur Angriff lauten“, waren seine Worte einen Tag nach dem Drama von Gummersbach. Und jetzt sagt er: „Wenn man so nah dran war, will man es auch mal schaffen. Unser Wille ist ungebrochen. Die Spieler, die vergangene Saison auch da waren, wissen genau, wie sich diese Enttäuschung angefühlt hat. Das wollen wir nicht noch einmal erleben. Und das werden wir den Neuzugängen einimpfen.“

Offenbar ist ihm das gelungen. „Ich träume davon, mit den Löwen das nachzuholen, was sie in der vergangenen Saison verdient hatten“, sagt Mads Mensah Larsen. Und auch der neue Ersatztorwart Bastian Rutschmann gibt sich angriffslustig: „Viele meiner Freunde haben den Löwen den Titel gegönnt und fanden es schade, dass es nicht geklappt hat. Ich habe jedem gesagt: Das holen wir im nächsten Jahr nach.“

So weit, so gut – wenn da nicht der Titelverteidiger wäre. Denn nichts anderes als die Meisterschaft hat auch der THW Kiel im Visier. „Ich glaube, dass Kiel den größeren Druck hat, wenn ich mir den Kader des THW anschaue“, unterstreicht Jacobsen die Außenseiterrolle seiner Mannschaft. Als Herausforderer und Verfolger fühlten sich die Löwen allerdings schon in der vergangenen Saison sehr, sehr wohl. Und in Anbetracht der eigenen Qualität dürfte die vom Trainer angepeilte Platzierung unter den ersten vier Mannschaften dann doch ein wenig mit Tiefstapelei zu tun zu haben.

Der Kader der Löwen kann sich nämlich sehen lassen. Die Stammformation blieb zusammen, mit Mensah Larsen wurde eine starke Rückraumalternative verpflichtet. Rutschmann ist ein solider Vertreter von Niklas Landin, Harald Reinkind gehört auf seiner Position zu den größten Talenten Europas und sammelte schon EM-Erfahrung. „Mit seinen Leistungen in der Offensive bin ich zufrieden“, sagt Jacobsen. Allerdings müsse sich Reinkind noch an sein Abwehrsystem gewöhnen. Und dann ist da noch Tim Suton, der als 18-Jähriger Torschützenkönig der Zweiten Bundesliga wurde, zuletzt aber bei der Junioren-EM weilte und einen Großteil der Saisonvorbereitung verpasste. Das ärgert den Trainer: „Es wird jetzt ein bisschen länger dauern, ihn zu integrieren.“

Entscheidend für den Weg der Löwen wird sein, wie sie den Verlust von Nikolaj Manojlovic verkraften. Zusammen mit Gedeón Guardiola bildete der Serbe in der vergangenen Saison in der 6:0-Deckung ein kaum überwindbares Bollwerk im Mittelblock. Bjarte Myrhol soll die Lücke schließen und wird nun auch wieder in der Abwehr spielen – außerdem angelten sich die Löwen mit Stefan Kneer eine weitere Alternative. „Mit seinen Leistungen in der Defensive bin ich sehr zufrieden“, lobt Jacobsen den Neuzugang aus Magdeburg, der allerdings in den Testspielen während des Trainingslagers in der Schweiz reichlich Zeitstrafen kassierte. Kneer nimmt’s mit Humor und schiebt es auf seine Rückennummer vier. Die trug zuletzt Oliver Roggisch, der bekanntlich kein Kind von Traurigkeit war. „Wenn das mit den Zeitstrafen so weitergeht, nehme ich mir eine andere Nummer“, flachst Kneer.

Gute Stimmung

Keine Frage: Die Stimmung im Team ist bestens – und auch der Trainer sieht der Situation im Abwehrzentrum gelassen entgegen: „Ich erwarte keine Probleme. Bjarte und Gedeón kennen sich ja schon ein paar Jahre.“ Sollte wider Erwarten aber doch einmal etwas schiefgehen, studierten die Löwen intensiv eine 5:1-Varinate ein. Flexibilität in der Abwehr liegt Jacobsen am Herzen. Stichwort eigene Handschrift.

Es könnte also alles so schön sein, wenn da nicht die Unruhe hinter den Kulissen wäre. Manager Thorsten Storm verlässt den Klub spätestens nach der Saison Richtung Kiel, der Aufsichtsrat schränkte seine Kompetenzen ein und ein Nachfolger ist nicht in Sicht. In der Vereinsführung ist ein Vakuum entstanden, doch das Team will diese Querelen nicht an sich herankommen lassen. Ob das gelingt, wird man schnell sehen. Ein guter Saisonstart würde fraglos vieles einfacher machen.

Von Marc Stevermüer