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Bereit für die Erntezeit (MM)

Beim THW Kiel sind die Sorgen nach dem Umbruch im Sommer gewichen / Ausgeruht ins Topspiel bei den Löwen

KIEL. Das Endspiel? „Nein“, sagt Filip Jicha, „wer so denkt, der hat schon verloren.“ Der Bundesliga-Hit, zu dem die Rhein-Neckar Löwen (47:9 Punkte) am Mittwoch (20.15 Uhr) Handballmeister THW Kiel (49:7) erwarten, sei zwar ein sehr wichtiges Spiel, sagt der Kapitän, „aber wenn wir das verlieren, geht die Welt auch nicht unter“. Die Ausgangslage sei gut. Aber sie würde sich von der, die sie vor dem ersten Spieltag gehabt hätten, kaum unterscheiden.

Die Vorfreude ist trotzdem groß. „Wenn in Kiel endlich die Sonne scheint, dann beginnt für uns immer die Erntezeit“, sagt der Tscheche. „Und jetzt scheint sie.“ Er hatte zuletzt vier Tage lang mit Fieber das Bett hüten müssen. Gut für ihn, dass die Krankheit ihn in einem Hotel in Pilsen erwischte. Während seine Nationalmannschaft nach Polen reiste, holte ihn seine Schwester Hedvika ab, um ihn in sein nur Minuten entferntes Elternhaus zu bringen. „Meine Mutter hat sich liebevoll gekümmert“, sagt Jicha. „Mein Körper brauchte nach den anstrengenden Wochen offenbar eine Pause.“

„Wir haben einen Plan“

Jetzt fühle er sich wieder fit, bereit für das Duell mit den Löwen. „Diese Mannschaft ist gewachsen“, lobt er den Tabellenzweiten. „Das Achtelfinale der Champions League hat gezeigt, dass sie inzwischen auch Endspiele gewinnen können.“ Die Löwen holten im Rückspiel gegen Kielce einen Vier-Tore-Rückstand (28:32/27:23) auf und warfen den polnischen Meister aus dem Wettbewerb. Die Vorfreude ist Jicha anzumerken, die Zuversicht auch. „Wir haben in jeder Situation des Spiels einen Plan“, sagt er. „Wenn wir uns daran halten, kann uns nicht viel passieren.“ Schwierig werde es nur, wenn die Brechstange den Plan ersetzen würde. Was in dieser Saison bereits einige Male der Fall gewesen sei.

Nach dem Abschied der Weltstars Marcus Ahlm (Karriereende), Daniel Narcisse (Paris St.-Germain), Thierry Omeyer (zurück zu Montpellier AHB) und Momir Ilic (MKB Veszprem) hatte Jicha aus seinen Bedenken keinen Hehl gemacht. Zu groß war der Umbruch, zumal zwei der drei Neuzugänge aus unterschiedlichen Gründen noch keine Säulen geworden sind. Der Däne Rasmus Lauge fällt nach einem Kreuzbandriss voraussichtlich bis Ende des Jahres aus. Und der Tunesier Wael Jallouz, bei der WM 2013 in Spanien noch achtfacher Torschütze gegen Deutschland, fremdelt mit der Bundesliga. Der Modellathlet bringt alle Voraussetzungen mit, doch im taktischen Konzept der Kieler hat er seinen Platz noch nicht gefunden.

Bislang weigert sich Trainer Alfred Gislason, der ihm im Training große Fortschritte bestätigt, ihn zu verleihen. Anfragen gibt es genug, aber Gislason glaubt an den Durchbruch von Jallouz, den in Kiel alle nur „Willi“ rufen. „Bei Patrick Wiencek hat es auch eine Weile gedauert“, sagt er mit Blick auf den deutschen Nationalspieler, der in seiner zweiten THW-Saison eine feste Größe geworden ist. Am Kreis, aber auch im Innenblock mit Rene Toft Hansen, dem zweiten Kreisläufer.

„Sie sind bei uns gesetzt“, sagt Jicha über die blonden Hünen, die das Herzstück einer mittlerweile sehr stabilen 6:0-Deckung bilden. Hinter ihr haben auch Andreas Palicka und Johan Sjöstrand, der dritte Neuling, zu stabilen Leistungen gefunden. Die Kritik an den Omeyer-Erben perlt an den Jugendfreunden ab. „Wir sind nicht die Typen, die sich dann gleich hinlegen und weinen“, sagt Palicka, der zuletzt Alleinunterhalter war, weil Sjöstrand nach einem Kopftreffer eine Gehirnerschütterung erlitten hatte. „Wir haben uns geschworen, dass wir die Saison gemeinsam durchziehen“, sagt Palicka. „Egal, was kommt.“

Bei Jicha sind die Sorgen angesichts der „schönen Saison“ spätestens seit der Winterpause gewichen, allerdings ist den Kielern bewusst, dass die Erfolge des kleinen Kaders an einem seidenen Faden hängen. Verletzt sich einer der Schlüsselspieler, zu denen in seiner zweiten Saison auch Tormaschine Marko Vujin zählt, muss der THW improvisieren.

So wie zu Saisonbeginn, als Ex-Löwe Gudjon Valur Sigurdsson und der ehemalige „Krösti“ Christian Zeitz, der nach Veszprem wechseln wird, als Mittelleute aushalfen. In Mannheim sind außer Lauge aber alle Zebras an Bord, ausgeruht sind sie nach der verpassten Final-Four-Qualifikation auch – eine so komfortable Situation im Vorfeld eines wichtigen Spiels hatten sie schon lange nicht mehr.

Von Wolf Paarmann