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Bittere badische Bankrotterklärung (MM)

Berlin. Den Tunnelblick hätte man sich von den Handball-Profis der Rhein-Neckar Löwen gerne auf dem Feld im Spitzenspiel bei den Berliner Füchsen gewünscht und nicht erst auf dem Weg in die Kabine. Als das 28:35-Desaster beim Hauptstadt-Klub perfekt war, als die Demütigung ein Ende genommen hatte, flüchteten die Löwen förmlich Richtung Dusche. Die Köpfe gesenkt, die Blicke leer. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Diesen Schock, diese bittere badische Bankrotterklärung mussten erst einmal alle verdauen. Einzig der tapfere Uwe Gensheimer stellte sich in den bitteren Minuten nach der Demontage: „Berlin hat clever gespielt und unsere stärkeren Phasen gut überstanden.“

Storm stinksauer

Von diesen stärkeren Phasen gab es allerdings nicht allzu viele. Vielmehr verglühte das Aufbäumen der Badener so schnell wie eine Wunderkerze. Phasenweise waren sie vorgeführt worden, das Wort Lehrstunde machte hier und da die Runde, was den Nagel auf den Kopf traf. Im Spitzenspiel war nämlich nur eine Spitzenmannschaft zu sehen – und die kam aus Berlin.

Manager Thorsten Storm legte nach dem nächsten desolaten Auftritt binnen weniger Wochen den Finger in die Wunde und stellte klar, dass er die Löwen in dieser Verfassung nicht als Champions-League-Kandidaten sieht. Eine treffende Einschätzung angesichts des ernüchternden Auftritts in der Max-Schmeling-Halle. Gewiss: Man kann in Berlin verlieren, aber nicht auf diese Art und Weise und nicht mit diesem Spielerpotenzial, das normalerweise ausreichen müsste, um den Füchsen zumindest einigermaßen Paroli bieten zu können.

„Wir verlieren in dieser Deutlichkeit, weil jeder aus unserer Mannschaft schlechter war als sein Gegenüber. Jeder Spieler sollte dem eigenen Anspruch gerecht werden und den Ball ins Tor werfen, wenn solch ein wichtiges Spiel angepfiffen wird und nicht darüber reden, was im Umfeld alles falsch gemacht wird“, ging Storm auf Konfrontationskurs zum Team. Diese Niederlage beschäftigte ihn, vielleicht öffnete sie ihm aber auch die Augen: Denn offensichtlich sind einige Profis nicht mit ganzem Herzen bei der Sache.

Außer Frage steht auf jeden Fall, dass es bei den Löwen mächtig rumort, was der Fall Henning Fritz zeigt. Überraschend stand der Schlussmann nicht im Kader, Trainer Gudmundur Gudmundsson wollte Tomas Svensson eine Chance geben. Der sollte aber, so war es bei seiner Verpflichtung im Sommer eigentlich angedacht, nur im Notfall einspringen. Nun kehrte der Schwede nach dreimonatiger Zuschauerrolle und ohne Spielpraxis ausgerechnet in der wichtigen Partie gegen Berlin zurück in den Kader.

Hinter Fritz‘ Demission scheint mehr zu stecken, als die Löwen zugeben wollen. Denn normalerweise nominiert niemand für ein Schlüsselspiel einen Keeper, der zuletzt im September zwischen den Pfosten stand. Gudmundsson versuchte, das heikle Thema herunterzuspielen. „Tomas hat nicht nur einen Vertrag als Torwarttrainer, sondern auch als Schlussmann“, erklärte der Trainer lapidar, die Entscheidung hätte nichts mit Fritz‘ Leistung zu tun: „Wir haben drei Torhüter, von denen Goran Stojanovic die klare Nummer eins ist. Dazu brauchen wir in jeder Partie einen zweiten Schlussmann. Wer das ist im nächsten Spiel ist, werden wir sehen. So einfach ist das.“

Myrhol taugt als Vorbild

Doch auch der zuletzt oft starke Stojanovic konnte das Desaster an der Spree nicht verhindern. Er stand klar im Schatten von Füchse-Keeper Silvio Heinevetter. „Ob beim Gegenstoß, in Eins-gegen-Eins-Situationen oder bei Rückraumwürfen. Er war immer da“, lobte Gudmundsson den Berliner Torwart, während er gleichzeitig seine Mannschaft für den fahrlässigen Umgang mit den Torchancen kritisierte: „Wir haben zu viele Möglichkeiten vergeben.“

Hinzu kam, dass Kreisläufer Bjarte Myrhol nicht wie gewohnt zum Zug kam, weil er unter Kopfschmerzen litt. Einen Vorwurf kann dem Norweger deshalb niemand machen, vielmehr verwundert es, dass er trotz gerade erst überstandener Krebs-Behandlung so schnell wieder zu einem der wenigen Leistungsträger wurde. Keine Frage: Von dieser Einstellung, diesem Kämpferherz und dieser Leidenschaft könnte sich manch ein Löwe etwas abschneiden.

Von Marc Stevermüer