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Bloß nicht abheben

Mannheim. Gudmundur Gudmundsson stand oben. Dort, wo er immer steht, wenn er sich Zeit nimmt, um zu analysieren, um sich dem Frage- und Antwortspiel im Presseraum zu stellen. Doch diesmal war es anders. Er war anders: Sein Gesicht, seine Gestik und Mimik, sein ganzes Auftreten. Der Trainer der Rhein-Neckar Löwen war völlig gelöst, unterlegte jedes Wort mit einem breiten, einem ansteckenden Grinsen, minutenlang. Teilweise versuchte er es zu verbergen, wollte mehr Ernsthaftigkeit ausstrahlen. Das spürte man, das sah man. Aber es gelang ihm nicht. Nicht an diesem denkwürdigen Abend, an dem Abend, an dem der THW Kiel fiel, als die Ostsee-Riesen plötzlich ganz klein wirkten. Seine Mannschaft hatte sie zurechtgestutzt, runter geholt vom Handball-Olymp.

Gudmundsson sei Dank. Der Isländer hatte den Masterplan ausgeheckt, den Schlüssel zum Erfolg. Hundertprozentig umgesetzt wurde er aber nicht. „Gudmi“, der Perfektionist, schmunzelte verlegen: „Vielleicht hört es sich jetzt überheblich an, aber wir hätten dieses Spiel höher gewinnen können, eigentlich sogar müssen.“ Stimmt. Auch über eine Abreibung mit sieben Toren Differenz hätte sich der THW diesmal nicht beschweren dürfen. Aber dafür gibt es Gründe. Alfred Gislason, Kiels Cheftrainer, kennt sie. Er sprach sie zähneknirschend an: „Es war doch klar, dass es schwer werden würde. Wir hatten einfach zu viele Ausfälle.“

Vor allem einer wog schwer: Filip Jicha, die Rückraum-Granate, schaute nur zu. Es passierte am Mittwochmorgen auf der anderen Rheinseite, beim Abschlusstraining desTHW, das in der Trainingshalle der TSG Friesenheim abgehalten wurde: Nach einem Sprungwurf zog es ihm plötzlich in den Rücken, schmerzte ohne Ende. Die Diagnose war niederschmetternd: Ein Hexenschuss. „Das war natürlich ein Schock für uns“, zuckt Gislason mit den Schultern, „wir haben alles versucht, aber es hat leider nicht gereicht.“

Einer der ersten, die am späten Mittwochabend wieder auf die Platte zurückkehrten war Patrick Groetzki. Die Autogrammjäger warteten bereits. Auf ihn ganz besonders. Denn „Johnny“ war einer der Hauptdarsteller, der Scharschütze unter den Gelbhemden. Sieben Mal hatte er getroffen, besser war keiner. Zufriedenheit scheint für ihn dennoch ein Fremdwort zu sein: „Na ja, über meine ein, zwei Fehlversuche ärgere ich mich schon.“ Eigenlob ist nicht sein Ding. Doch es war eigentlich angebracht. Schließlich ist seine Leistungsexplosion innerhalb der letzten zwölf Monate unverkennbar: Brachte ihn Kiels Thierry Omeyer, der kürzlich bekanntlich zum besten Handball-Torhüter aller Zeiten gewählt wurde, noch zur Verzweiflung, veräppelte er den Franzosen nun nach Strich und Faden. Mal durch die Beine, mal links oben in den Winkel. Dieser Groetzki war nicht zu stoppen.

Thorsten Storm weiß, was er an ihm hat: „Patrick ist ein Riesentalent und sicher eine der kommenden Größen in der deutschen Nationalmannschaft. Außerdem dürfte er sein ’Omeyer-Problem’ mittlerweile endgültig behoben haben“, schmunzelt der Manager. Aber Storm sah noch mehr, was ihn begeisterte, andere, die glänzten. Er freute sich über Kasa Szmal, der gegen Kiel „bewiesen hat, dass er zu den besten Torhütern der Welt zählt“. Und über einen Andy Schmid, der „immer mehr verdeutlicht, wie wichtig er für die Löwen noch werden kann, wenn man ihm die nötige Zeit gibt“. Apropos Zeit, auch Zarko Sesum wird seine Fähigkeiten im Löwen-Gehege noch unter Beweis stellen. Storm ist davon überzeugt, sagt: „Was er drauf hat, sehen wir in jedem Training.“

Vielleicht rückt er ja schon morgen ins Rampenlicht. Denn dann wird das Bösfelder Ufo erneut zur großen Bühne. Es ist mal wieder Champions-League-Zeit. Um 15.30 Uhr gastiert der RK Celje vor den Toren Mannheims. Auf den ersten Blick ein leichtes Los, aber wirklich nur auf den ersten: „Celje hat wieder die Chance auf die nächste Runde, die werden alles geben“, warnt Uwe Gensheimer und legt nach: „Wir dürfen uns auf keinen Fall von dem Sieg gegen Kiel blenden lassen.“

Starke Worte, klug und angebracht. Storm pflichtet ihm bei: „Jede Partie geht wieder bei null los.“ Auch in der Bundesliga. Und dort mischt das badische Handball-Flaggschiff plötzlich wieder vorne mit. Man ist Vierter, lediglich einen Punkt hinter Kiel. Auf kernige Reden wird trotzdem verzichtet. Die Besten aus dem Südwesten halten den Ball flach. Storm: „Wir schauen weiterhin nur von Spiel zu Spiel, mal schauen, was am Ende dabei raus kommt.“ Eine gute Taktik…

Von Daniel Hund

 03.12.2010