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Das Herz wieder in die Hose gerutscht

Kiel. Die Köpfe hingen früh. Die Schultern auch. Schon zur Pause schien so manches Ass der Rhein-Neckar Löwen nichtmehr an die Wende zu glauben. Konsterniert schlichen sie in die Katakomben der Kieler Sparkassen-Arena, gelandet auf dem harten Boden der Realität, angekommen in der Wirklichkeit, die sich auf dem gigantischen Videowürfel in Zahlen widerspiegelte: 17:9 stand dort. Für den THW Kiel, gegen die Löwen. Ein ganz bitterer Abend deutete sich an, der dann aber doch noch glimpflich endete: Die Badener kamen beim Champions-League-Knaller mit einem blauen Auge davon. Nach 60 Minuten war der Vorsprung des Titelhamsters auf drei Tore geschrumpft: Kiel gewann mit 30:27. „Leider haben wir zu spät angefangen, Handball zu spielen“, resümierte Löwen-Manager Thorsten Storm enttäuscht.

Eigentlich ist die Ostsee ja ein beliebtes Reiseziel. Erholung wird dort groß geschrieben. Die frische Seeluft, das gute Klima. Viele Menschen zieht das magisch an. Sie kommen regelmäßig um Kraft zu tanken, um abzuschalten. Doch es gibt auch andere, welche, die nicht so gerne kommen. Die Rhein-Neckar Löwen zum Beispiel. Für sie ist die Ostsee, sprich die alljährlichen Gastspiele in Kiel und Flensburg, selten eine Reise wert. Die Abstecher sind in der Regel nur eins: Belastend, frustrierend, richtig ernüchternd.

Gestern wurde ein neues, ein weiteres trauriges Kapitel geschrieben. Denn letztlich – Aufholjagd hin oder her – war es wie immer, wenn die Löwen in Kiel aufkreuzen: Es gibt nichts zu holen. Ausschlaggebend für die Pleite war diesmal die erste Halbzeit. Hier präsentierte man sich phasenweise wie das Kaninchen vor der Schlange, und eben nicht wie ein hungriger Löwe auf Zebrajagd. Das Rudel wurde vielmehr selbst zum Gejagten.

Die Kieler zogen schnell weg. Und das hing insbesondere mit einem Mann zusammen: Thierry Omeyer. Der Franzose, der 34-jährige Routinier im THW-Tor, lief zu Hochform auf. In der Anfangsphase glich er einer Mauer. Schier unüberwindbar und stark. Egal, ob vom Sieben_ meterpunkt aus oder aus dem Rückraum, Omeyer war da, parierte, brillierte. Mit dem Fuß, mit den Händen, mit der rechten Schulter.

Und bei den Löwen? Die tauchten in den ersten 30 Minuten beinahe geschlossen ab. Lediglich Patrick Groetzki, Bjarte Myrhol und Olafur Stefansson, der mehrere listige Pässe aus dem linken Handgelenk schüttelte, zeigten anfangs wie es geht, wie es gehen muss, wenn man beim ruhmreichen THW Kiel eine Chance haben möchte. Erst in der Schlussphase des Spiels traten die Badener dann als Kollektiv auf. Zu spät! Storm sagte: „Leider verkaufen sich in solchen Spielen einige von uns deutlich unter Wert. Ihnen rutscht das Herz dann in die Hose.“

Doch auch beim Gegner, der „gieriger war“ (Storm), hielt sich die Freude über den Erfolg merklich in Grenzen. Dominik Klein, Kiels trickreicher Linksaußen, verdeutlichte das eindrucksvoll. Frisch geduscht stand er da, analysierte munter drauf los. Gefehlt hat nur eins: sein Siegerlächeln. „Zum Schluss hätten wir uns fast wieder selbst geschlagen. Man fühlte sich leider stark an unsere kürzliche Niederlage in Hamburg erinnert. „Mini“ haderte vor allem mit der schlechten Chancenverwertung, sprach von zu vielen leichten Fehlern, von mangelnder Konzentration in der Abwehr und von einer „richtig schlechten zweiten Halbzeit.“

Folglich darf der Höhenflug der Löwen also nicht überbewertet werden? „Das, was da passiert ist, lag in erster Linie an uns selbst“, nickte Klein und gab sich schließlich doch versöhnlich: „Wenn man bedenkt, dass wir im Rückraum erneut ohne Linkshänder auskommen mussten, haben wir unsere Sache eigentlich gar nicht so schlecht gemacht.“

Die Gelbhemden düsten gestern Abend übrigens weiter nach Bad Bramstedt. Storm: „Dort wird sich die Mannschaft in einem Kurz-Trainingslager auf das Bundesliga-Spiel am Mittwoch in Hamburg vorbereiten.“

Von Daniel Hund

 22.11.2010