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Zu lange in Ehrfurcht erstarrt

Kiel. Entsetzen und Fassungslosigkeit herrschte bei den Rhein-Neckar Löwen bereits zur Halbzeit. Wie geprügelte Hunde schlichen die Spieler des Handball-Bundesligisten in die Kabine. Den Champions-League-Auftritt an der Ostsee hatten sich die Gelbhemden anders vorgestellt. Erst eine halbe Stunde war gespielt – und trotzdem lagen sie schon hoffnungslos beim THW Kiel zurück. Mit 17:9 führten die Norddeutschen zur Pause, am Ende bejubelte der Titelverteidiger einen ungefährdeten 30:27-Sieg. Über die Dominanz des Ostsee-Klubs täuschte auch ein starker Schlussspurt der Löwen nicht hinweg.

„Das Spiel war nach 45 Minuten entschieden. Wir haben viel zu spät angefangen und erkannt, dass wir hier etwas mitnehmen können, als der THW schon gewonnen hatte“, meinte Manager Thorsten Storm: „Wir sind niemals richtig an Kiel herangekommen und hatten viel zu viel Angst vor Torwart Thierry Omeyer. Der THW hat keine Übermannschaft, aber eben den besten Schlussmann der Welt.“

Fritz verhindert Schlimmeres

Der Keeper der Norddeutschen wurde wieder zur unüberwindbaren Wand für die Löwen. Erst parierte der Franzose bei Gensheimers Gegenstoß glänzend, dann wehrte er einen Siebenmeter des Linksaußen ab – und das war nur der Anfang. Mit seinen Paraden legte Omeyer den Grundstein für die 7:2-Führung (10.). Kiel baute danach den Vorsprung aus, obwohl der mittlerweile für Slawomir Szmal ins Tor gerückte Henning Fritz eine gute Leistung zeigte. An ihm lag es keinesfalls, sondern an der enttäuschenden Offensivleistung. „Henning hat sich ins Spiel gekämpft und war einer der wenigen, die eine gute Leistung gezeigt haben“, lobte Storm, „ansonsten hat die Mannschaft zu wenig gemacht, um hier zu punkten.“

Erst beim 27:24 für Kiel sechs Minuten vor Schluss keimte noch ein wenig Hoffnung bei den Badenern auf, in Gefahr brachten sie den Gegner aber nicht mehr. „Wir haben Charakter gezeigt und die zweite Halbzeit mit 18:13 gewonnen. Aber das reicht natürlich nicht für einen Sieg, wenn man vorher einen so schlechten ersten Durchgang gespielt hat“, meinte Trainer Gudmundur Gudmundsson. Auch Storm lobte die Moral: „Wir haben bis zum Schluss gekämpft. Hoffentlich haben unsere Spieler jetzt erkannt, dass sie Kiel schlagen können, wenn sie von Beginn an Gas geben.“

Ein Problem machte der Geschäftsführer im Rückraum aus. „Da kam zu wenig Druck. Kiel erzielte einfache Tore, wir dagegen nicht“, meinte der Manager, der erneuten Ankündigungen des Aufsichtsratsvorsitzenden Jesper Nielsen, Ólafur Stefánsson werde in der kommenden Saison in Kopenhagen spielen, mit Ironie begegnete: „Wir haben immer gesagt, dass wir dieses Thema nach der WM besprechen. Und die ist meines Wissens noch nicht ausgetragen worden.“

Keine Frage: In den Wochen der Wahrheit will Storm eine unnötige Personaldiskussion vermeiden. Er weiß, dass zurzeit viel auf dem Spiel steht. Am Mittwoch treten die Löwen in Hamburg an. „Ich habe gehört, dass der HSV nicht viel von uns hält“, meinte der Geschäftsführer: „Wir nehmen die Hamburger auf jeden Fall sehr ernst.“ Es bleibt zu hoffen, dass die Löwen vor lauter Respekt nicht wieder in Ehrfurcht erstarren.

Von Marc Stevermüer

 22.11.2010