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„Das passt nicht zu unseren Ansprüchen“

Göppingen. Die Kabinentür blieb zu. Niemand ging raus, niemand wollte raus. Drinnen herrschte bedächtiges Schweigen. Die Spieler der Rhein-Neckar Löwen waren mit sich selbst beschäftigt, versuchten das zu verarbeiten, was kaum zu verarbeiten war: Nach dem 31:35 (13:21)-Debakel in Göppingen befand man sich in einer Art Schockstarre. Das Erlebte schmerzte, insbesondere die erste Halbzeit. 30 Minuten, in denen nichts klappte. Gudmundur Gudmundsson sah es ähnlich: „21 Gegentore“, pustete der Trainer der Badener tief durch: „21 Gegentore in einer Halbzeit, das darf nicht passieren und ist sehr enttäuschend.“ Manager Thorsten Storm fand klarere Worte. Seine niederschmetternde Analyse: „Wir wurden vor der Pause regelrecht überrannt, was sicher nicht zu unseren eigenen Ansprüchen passt.“

Aber woran lag es? War der Gegner so übermächtig? Eher nicht! Die eigene Leistung war’s, die nicht stimmte: Keine Aggressivität, keine Ideen, keine Präzision – nichts. So gewinnt man kein Spiel in der stärksten Handball-Liga der Welt. Storm nickte und legte nach: „Die ganze Einstellung hat nicht gepasst, Göppingen war deutlich heißer auf die Punkte.“

Erst nach dem Seitenwechsel lief es besser. Plötzlich hielt man dagegen, ging dahin, wo es weh tut. Gudmundsson hat das registriert: „Bei solch einem Gegner, der in dieser Saison zuhause noch ungeschlagen ist, muss man von Beginn an voll zur Sache gehen“, grübelte er. Die Erklärung für den schläfrigen Auftakt glaubt „Gudmi“ gefunden zu haben: „Sie waren vom Kopf her nicht bereit, genau das macht es ja so ärgerlich.“

Verständlich wird der Ärger auch bei einem Blick auf die Tabelle: Die Löwen sind Vierter, haben mittlerweile bereits zehn Verlustpunkte auf dem Konto. Läuft es nach der WM-Pause derart durchwachsen weiter, muss die Gudmundsson-Sieben möglicherweise sogar um die Qualifikation für die Champions League bangen. Und das in einer Saison, in der eigentlich alles möglich wäre: Schon lange war es nicht mehr so „einfach“, deutscher Meister zu werden. Denn auch der Rekordmeister aus Kiel schwächelt, hat große Verletzungssorgen.

Trotzdem ist der Titeltraum für die Badener noch nicht ausgeträumt. Er lebt weiter: In der Champions League und vor allem im DHB_Pokal. Schließlich scheint gerade in den K.o.-Spielen ,wenn es um alles oder nichts geht, eine andere Mannschaft auf dem Parkett zu stehen. Dann wirkt der eine oder andere motivierter, einen Tick entschlossener. Traurig, aber wahr. Der Manager hat die Zeichen der Zeit jedenfalls längst erkannt. Storm spricht von einer zweiten Saisonhälfte, die „für uns alle sehr schwer werden wird.“ Aufgeben ist für ihn jedoch ein Fremdwort. Storm: „Ich werde bis zum Schluss um unsere Ziele kämpfen. Wie ein Löwe. Aber die Jungs müssen das auch tun.“

Entwarnung gibt es übrigens bei Ivan Cupic. Die Verletzung des Rechtsaußen entpuppte sich „nur“ als ausgekugelte Schulter. Der WM-Einsatz des Kroaten ist demnach nicht in Gefahr. Apropos WM, die vom 13. bis zum 30. Januar 2011 in Schweden stattfinden wird: fast alle Löwen werden dort am Ball sein. Gudmundsson als Dirigent – er coacht die isländische Nationalmannschaft. Über die genaue Zielsetzung hat er sich noch keine Gedanken gemacht: „Ich muss abwarten, muss sehen, wie fit meine Spieler sind, wenn wir uns in ein paar Tagen zur Vorbereitung treffen.“ Wobei die Erwartungshaltung in Island groß ist. Dort ist man verwöhnt: Unter Gudmundsson holte Island bei Olympia 2008 die Silbermedaille, bei der EM2010 reichte es zudem zu Bronze.

Gut möglich, dass er in Schweden auch auf Deutschland trifft, das nach momentanem Stand mit drei Löwen anreisen wird: Oliver Roggisch und Uwe Gensheimer sind wohl gesetzt, aber auch Patrick Groetzki dürfte sehr gute Karten haben.

Von Daniel Hund

 31.12.2010