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Das Schachspiel des Strategen Stefánsson

Mannheim. Er ist ruhig, er ist bescheiden. Dabei könnte es sich Ólafur Stefánsson durchaus erlauben, etwas forscher aufzutreten. Denn der Isländer muss niemandem mehr etwas beweisen. Außer vielleicht sich selbst, was seinen Ehrgeiz nur noch unterstreicht. Mit mittlerweile 37 Jahren neigt sich die Karriere des Weltklasse-Handballers dem Ende entgegen. Titel hat er viele gesammelt, sehr viele sogar. Man kann sie gar nicht alle aufzählen. Doch allein die vier Champions-League-Triumphe und fünf nationalen Meisterschaften mit dem SC Magdeburg und dem spanischen Spitzenklub Ciudad Real beweisen, dass dieser Mann ein absoluter Erfolgsgarant ist.

Seit 2009 trägt der Isländer das Trikot des Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen. Und bei den Badenern musste er im vergangenen Sommer eine ihm fast unbekannte Erfahrung machen: Erstmals seit 2003 konnte er keine Trophäe in die Höhe halten. Doch das soll sich ändern. Den Löwen bleiben dazu noch zwei Chancen: im DHB-Pokal und in der Champions League.

Im Viertelfinale der Königsklasse bekommen es die Gelbhemden am Sonntag (17.45 Uhr) in der noch nicht ausverkauften SAP Arena mit Montpellier HB zu tun. „Ein starkes, aber nicht unschlagbares Team“, sagt Stefánsson, der traditionell jedoch wenig davon hält, auf andere zu schauen. „Wir sollten alles dafür tun, um besser als der Gegner zu sein, und nicht auf einen einfachen Kontrahenten hoffen“, sagte der Isländer schon vor der Auslosung.

Diese Aussage ist geradezu typisch für ihn – wie viele andere auch. „Ich habe zwei Siebenmeter verworfen und nehme die Niederlage auf meine Kappe. Aber ich bin froh, dass mir das passiert ist und nicht Patrick Groetzki oder einem anderen jungen Spieler“, meinte der Rückraummann beispielsweise nach der Niederlage im Pokalfinale 2010 gegen Hamburg. Und als er mit Island im gleichen Jahr das WM-Halbfinale gegen Frankreich verlor, räumte der Linkshänder ein: „Ich konnte meiner Mannschaft nicht helfen, umso größer ist mein Schmerz.“

„Der beste Isländer aller Zeiten“

Stefánsson sieht sich zunächst immer selbst in der Verantwortung. Vorwürfe sind ihm ebenso fremd wie Kampfansagen oder Prognosen. Selbst die momentane Erfolgsserie der Löwen lässt ihn mehr oder weniger kalt. Er will eben keine Siege feiern, sondern Titel. „Es liegt noch alles vor uns. Wir sollten jetzt nicht so viel reden, denn in meinem Briefkasten liegt keine Medaille“, bringt der Isländer auf die ihm eigene Art zum Ausdruck, dass einem im Profisport nichts geschenkt wird – außer vielleicht das Talent, von dem der 37-Jährige mehr als genug in die Wiege gelegt bekommen hat.

„Er ist der beste isländische Spieler aller Zeiten“, lobt sein Landsmann und Trainer Gudmundur Gudmundsson. Und auch der Kieler Coach Alfred Gislason adelt den Mann mit der Zauberhand: „Dass er noch nie als Welthandballer ausgezeichnet wurde, kann ich nicht verstehen.“

Stefánsson ist fraglos ein echter Stratege, ein kühler Taktiker. Er liest ein Spiel wie kein anderer, variiert das Tempo, ist der Anspielpunkt im Rückraum und hat ein Auge für die Kollegen. Mit seiner Eleganz drückt er dem Spiel seinen Stempel auf, und mit spontanen Mitteln zum aktuell geforderten Zweck kennt der Isländer immer wieder eine Lösung für die Aufgaben, die ihm die Gegner stellen. „Bekommt Ólafur zu viel Platz, spielt er mit jeder Abwehr Schach“, sagt der frühere Löwen-Trainer Wolfgang Schwenke. Er weiß: Wenn es sein muss, dann unterdrückt Stefánsson die Lust auf ein eigenes Tor oder einen Zauberpass zugunsten einer effektiven Seitenverlagerung. Denn schließlich geht es dem Titelgaranten niemals um sich selbst, sondern immer nur um den Erfolg der Mannschaft.

Von Marc Stevermüer

 23.04.2011