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Das Stehaufmännchen (MM)

Alexander Petersson führt die Löwen zum Sieg in Kiel – vor fünf Wochen nimmt er dort die Niederlage auf seine Kappe

KIEL. Er wollte viel – und verlor das Spiel. Zumindest fühlt sich Alexander Petersson so an jenem 6. November. Vor fünf Wochen schleicht der Isländer bedröppelt durch die Arena des THW Kiel, übernimmt die Verantwortung für die 28:31-Niederlage der Rhein-Neckar Löwen im Bundesliga-Topspiel. Sein Comeback nach monatelanger Verletzungspause, es geht daneben. Petersson ist danach enttäuscht – vor allem von sich selbst. Doch unterkriegen lässt sich einer wie er, ein vorbildlicher Kämpfer, ein nimmermüdes Stehaufmännchen und eine unumstrittene Persönlichkeit nicht. Der Linkshänder arbeitet hart an sich, meldet sich vor genau zwei Tagen eindrucksvoll zurück. Und zwar in Kiel. Gegen den THW. Als Matchwinner. Was für eine Geschichte.

„Etwas gut zu machen“

„Für mich war es an der Zeit, hier etwas gut zu machen“, sagt Petersson nach dem umjubelten 32:30-Pokal-Coup der Löwen an der Ostsee. Diesmal steht ihm nicht der Frust ins Gesicht geschrieben, sondern die Erleichterung. Über den Sieg. Über seine Leistung. Vier Tore in den ersten neun Minuten und acht insgesamt. Das ist stark. Konsequent in der Chancenverwertung, konzentriert im Passspiel, kompromisslos in der Abwehr. Das ist Weltklasse. Petersson macht in einem Spiel, in dem der THW in eigener Halle kein einziges Mal führt, alles richtig.

„Alex ist sehr wichtig für uns, er hat in der vergangenen Saison überragend gespielt“, sagt Andy Schmid in der Stunde des Triumphes und legt frisch geduscht sein Handy zur Seite. Das Telefonat muss warten – jetzt geht es erst einmal um ein Lob für Petersson, über dessen Leistung sich einfach jeder Löwe freut. „Er hat ein Bombenspiel gemacht“, meint Oliver Roggisch und erinnert an die schwere Zeit, die hinter dem lange an der Schulter verletzten Isländer liegt: „Wer seine Leidensgeschichte kennt, der weiß, wie wichtig ihm diese Partie war. Ich habe ihn im Training erlebt, er konnte teilweise nicht aufs Tor werfen. Da macht man sich Sorgen. Jetzt hat er gezeigt, dass er zurück ist.“

Ist der Rückraumspieler aber auch schon wieder in der Verfassung der vergangenen Saison? Petersson hebt abwehrend die Hände. Als er darauf antwortet, wechselt der Linkshänder die Perspektive und spricht über sich in der dritten Person. Dazu ein ansteckendes Grinsen im Gesicht. Auch das macht ihn so sympathisch. „Nein, der Alex hat jetzt ein gutes Spiel gemacht. Er ist noch nicht der Alte und muss an seiner Physis arbeiten.“

Niemand kann das besser einschätzen als der Olympia-Zweite von 2008, der mit seinen 186 Zentimetern Körpergröße nicht zu den Rückraumhünen zählt. „Athletik war immer wichtig für mich. Da ich nicht gerade der Größte bin, wollte ich mir mit Kraft und Schnelligkeit einen Vorteil verschaffen“, berichtet der 33-Jährige, der trotz der schwierigen Monate in der Reha nie seinen Humor verlor. „Mein Wurfarm und ich sind momentan keine dicken Freunde. Vielleicht ist er etwas eingeschnappt, weil ich mich zuletzt nicht gut genug um ihn gekümmert habe“, sagte er noch vor wenigen Wochen – in Kiel waren die beiden aber wieder ein gutes Paar.

Mal mit Wucht, mal mit Auge – unwiderstehlich und unnachahmlich erzielt Petersson Tor um Tor, die auf ihn einprasselnden Komplimente gibt der Isländer trotzdem lieber an Trainer Gudmundur Gudmundsson weiter: „Er hat uns extrem gut eingestellt. Wir wussten alles über Kiel. Ich habe keine Ahnung, wie viele Videos ich gesehen habe.“

Immerhin: Der Aufwand lohnt sich. „Wir waren 50 Minuten die bessere Mannschaft. Gegen Ende haben wir keine Angst bekommen, sondern falsche Entscheidungen getroffen. Deswegen wurde es eng. Aber wenn ein Team 50 Minuten besser ist, dann will der Handball-Gott auch mal, dass diese Mannschaft gewinnt“, fasst Schmid die Begegnung auf die ihm eigene Art zusammen. Letztendlich sind es aber keine höheren Mächte, die den Löwen zum Coup in Kiel verhelfen. Es ist deren Leistung, die dem THW nach 23 Jahren die erste Heim-Niederlage im Pokal beschert. „Wir haben Geschichte geschrieben.“ Dieser Satz ist immer wieder von den Löwen zu hören. Von Petersson. Von Gudmundsson. Und von Niklas Landin.

Nach 54 Minuten weicht der Däne für Goran Stojanovic aus dem Tor, weil er in dieser Phase ein paar unglückliche Treffer kassiert. „Ich habe mir gesagt: Das dürfen nicht meine letzten Momente in diesem Spiel sein“, berichtet der 24-Jährige nach dem hochklassigen Krimi. 240 Sekunden nach seiner Auswechslung kehrt er schon wieder aufs Feld zurück. „Ich musste einen kühlen Kopf bekommen“, sagt Landin – und tatsächlich tut ihm die Pause gut. Mit einer Wahnsinnstat gegen Niclas Ekberg verhindert der Europameister von 2012 eine Minute vor dem Abpfiff den Ausgleich. Und so war Petersson zwar der gefeierte Mann – das letzte Wort hatte aber wieder einmal er, der Teufelskerl aus Dänemark.

Von Marc Stevermüer