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Der Bundesliga-Dino soll erlegt werden

Mannheim. Kurz vor Spielbeginn wechselte Chrischa Hannawald nochmals die Seiten. Er ging rüber zu Michael Roth, seinem Kumpel, seinem Ex-Trainer. Der Neu-Löwe schlich sich von hinten ran, tauchte ab, holte kurz aus und gab „Schorle“ einen Klaps auf den Hintern. Dann umarmten sie sich, grinsten, lachten. Sechzig Minuten später lachte nur noch einer: Chrischa Hannawald. Über einen Startzielsieg der Rhein-Neckar Löwen, über Einbahnstraßen-Handball, über ein 40:25-Schützenfest gegen die MT Melsungen. Und Roth? Der war bedient, völlig niedergeschlagen, aber Realist: „Wir hatten hier heute nie eine ernsthafte Chance“, bilanzierte Melsungens neuer Chefcoach, „die Löwen haben uns klar beherrscht.“

Worte, die ihm sicher schwer fielen. Denn er hatte sich bei seiner Rückkehr mehr vorgenommen, viel mehr. Insgeheim träumte er vom ganz dicken Ausrufezeichen, von einem Paukenschlag in der Höhle der Löwen. Und dann das: 25:40. Eine Pleite mit 15 Toren Differenz. So was nennt man Klatsche, Demontage. Nur eines war es nicht: blamabel. Dazu waren die Vorzeichen einfach zu schlecht: Lediglich eine Trainingseinheit hatte Roth Zeit, um bei seinem neuen Arbeitgeber eine Trendwende einzuleiten.

Bitter nötig ist sie: 0:20-Punkte lassen sich nicht schön reden. Von niemandem. Die Zweite Liga ist aktuell bedrohlich nah, Abstiegsangst macht sich breit. Aber das soll sich ändern. Roth, der Kämpfer: „Wir brauchen schnellstmöglich ein Erfolgserlebnis, dann kommt auch das Selbstvertrauen wieder zu uns zurück.“

Bei den Löwen ist es längst da. Unter Gudmundur Gudmundsson ist man nach wie vor ungeschlagen, scheint das Verlieren verlernt zu haben. Der kleine Isländer ist ein großer Taktiker. Manager Thorsten Storm lobt: „Er hat immer eine Antwort. Auf alles, was der gegnerische Trainer auch ausheckt. Gudmundur ist gierig auf Erfolg, und hat diesen Hunger, den man dazu braucht.“

Und das Personal. Mittlerweile übrigens auch wieder auf Halbrechts: Die Zeiten, in denen Olafur Stefansson den Alleinunterhalter gab, sind vorbei. Zarko Sesum (24) demonstrierte am Mittwochabend eindrucksvoll, was in ihm steckt. Gerade vor dem gegnerischen Tor ist er eine Macht. Kaltschnäuzig und extrem zielstrebig. Bei seinem Heimdebüt für die Löwen steuerte der Serbe prompt vier Treffer bei. „Für Zarko, der lange verletzt war, freut mich das ganz besonders“, erklärt Storm.

Die nächste Kostprobe seines Könnens möchte Sesum schon am morgigen Samstag geben. Dann kreuzt der TV Großwallstadt, der Bundesliga-Dino, in der Mannheimer SAP Arena auf. Ab 19 Uhr wird erneut Schwerstarbeit gefragt sein. Gudmundsson, der unmittelbar nach dem Sieg über Melsungen gedanklich schon beim TVG war, warnt schon mal: „In dieser Liga gibt es keine Selbstläufer“, sagt er.

Stimmt. Aber diesmal ohnehin nicht: Die Mainfranken haben alles, was man braucht, um auch die ganz Großen zu ärgern. Selbst Kiel bekam das in der vergangenen Woche zu spüren. Gudmundsson: „Gegen den THW hat Großwallstadt ein tolles Spiel gezeigt. Sie konnten lange mithalten.“

Wobei der TVG häufig einer Wundertüte gleicht. ZwischenWeltklasse und unterem Bundesliga-Durchschnitt, zwischen Dominanz und Einfallslosigkeit ist es bei Großwallstadt ein schmaler Grat. „Gerade dieses Unberechenbare macht sie so gefährlich“, weiß Storm. Zudem breitet hinten drin einer die Arme aus, dem in Sachen Tore verhindern nur wenige etwas vormachen. Gemeint ist Mattias Andersson. Ein Schwede, 32 Jahre alt, Torwart von Beruf. An guten Tagen „nagelt“ der ehemalige Kieler sein Tor förmlich zu. „Ein ganz starker Mann.“ Storm pustet tief durch, als er das sagt.

Nur nicht warmschießen, lautet deshalb die oberste Löwen-Devise. Konzentriertes Arbeiten ist gefragt. So wie es beispielsweise Niklas Ruß gegen Melsungen vorlebte. Drei Mal raste der Junglöwe auf das Gästetor zu, drei Mal zappelte der Harzball im Netz. Storm war Augenzeuge. Und beeindruckt: „Das ist ein toller Junge, mit einem tollen Charakter, der es bei uns in letzter Zeit nicht einfach hatte.“

Widerspruch zwecklos. Ruß ist in der Regel das fünfte Rad am Löwen-Wagen, passt meist nicht mehr auf den Spielberichtsbogen. Dann heißt es Tribüne statt Platte, Däumchen drehen statt Tore werfen. Storm sagt: „Natürlich ist das für solch einen jungen Sportler nicht immer schön.“ Aber auch: „Wir sind jedoch kein Ausbildungsverein. Bei uns ist der Erfolgsdruck einfach unheimlich groß. Immer!“

Eigentlich zählen nur Siege. Wie morgen gegen Großwallstadt.

Von Daniel Hund

 05.11.2010