Veröffentlichung:
„Der Dicke muss ins Tor“
Borko Ristovski im Interview
Es war ein wirklicher Blitztransfer, den die Rhein-Neckar Löwen am 21. November 2015 präsentierten. Mit Borko Ristovski verpflichteten die Löwen am Tag des Spitzenspiels beim damaligen Tabellenzweiten MT Melsungen den mazedonischen Nationalspieler als weiteren Torhüter für die laufende Saison. Ristovski, früher in der Bundesliga schon für den VfL Gummersbach am Ball, wechselte während der laufenden Saison vom französischen Club US Creteil zu den Löwen. Im Interview spricht der Schlussmann über seine plötzliche Rückkehr in die Bundesliga, sein Verhältnis zu Mikael Appelgren und über seine Ziele mit den Löwen.
Willkommen zurück in Deutschland, Borko. Nach deinem Gastspiel beim VfL Gummersbach bist du mit den Rhein-Neckar Löwen nun zum zweiten Mal in der Bundesliga am Ball. Sind die deutschen Vokabeln schon alle wieder zurück?
Borko Ristovski: Ehrlich gesagt, geht das alles noch ein bisschen durcheinander. Das ein oder andere Wort Französisch von meiner vorherigen Station in Creteil ist manchmal noch dabei. Manchmal hilft auch Englisch. Aber ich versuche, viel zu sprechen und zu lesen – und dass ich schon einmal in Deutschland war, hilft mir natürlich. Das wird schon.
Dein Wechsel ging ja sehr schnell über die Bühne. Hattest du schon Gelegenheit, die Region ein bisschen näher kennenzulernen?
Ristovski: Vor meinem Wechsel hatte ich mittwochs noch in Creteil gespielt, samstags drauf waren wir gleich in Melsungen und danach ging es ja auch Schlag auf Schlag. Auch das freie Wochenende vor dem Flensburg-Spiel habe ich genutzt, um die letzten Sachen aus Frankreich zu holen. Bis dahin habe ich im Hotel in Mannheim aus fünf Taschen gelebt, und bis jetzt kenne ich vor allem die Autobahn Richtung Kronau . . .
. . . das soll aber kein Dauerzustand bleiben, oder?
Ristovski (lacht): Nein, natürlich nicht. Die vergangene Woche ging jetzt der Umzug nach Heidelberg über die Bühne, ich habe dort die Wohnung von Darko Stanic übernommen. Und wenn ich mich da eingelebt habe, kommt auch meine Freundin Lana wieder nach Deutschland. Dann haben wir hoffentlich öfter die Gelegenheit, uns hier umzuschauen.
Dein Wechsel zu den Löwen kam für Außenstehende ziemlich überraschend. Wie kam der Kontakt zustande?
Ristovski: Wir hatten bereits im Oktober Kontakt, als feststand, dass Darko Stanic die Löwen verlassen möchte. Ich hatte ja aber noch einen Vertrag bei US Creteil, deshalb mussten die Vereine eine Lösung finden. Das hat eben einpaar Tage gedauert, dann ging aber alles sehr schnell, da Trainer Nikolaj Jacobsen mich schon in Melsungen dabei haben wollte.
Warst du in Frankreich nicht mehr zufrieden?
Ristovski: Nach meiner Zeit in Gummersbach und den drei Monaten in Katar, war Frankreich eine gute Erfahrung. Dort geht alles etwas ruhiger zu, man spielt unter der Woche, hat die Wochenenden frei, der Stress hält sich in Grenzen. Aber in Creteil haben wir durchschnittlich vor etwas mehr als 1000 Zuschauern gespielt, und da der Klub teilweise von der Kommune mitfinanziert wird und daher immer über gesicherte Einnahmen verfügt, hält sich dort der Ehrgeiz, weiter voranzukommen, in Grenzen. Ich wollte eine neue Herausforderung und bin jetzt wieder bereit für die stärkste Liga der Welt.
Du hast bis 2018 unterschrieben. Wie siehst du deine Rolle und die Perspektiven bei den Löwen?
Ristovski: Wenn man die Chance erhält, bei so einer Spitzenmannschaft zu spielen, muss man nicht lange überlegen. Das Team ist eingespielt, ist in allen Wettbewerben noch dabei und hat Chancen auf die Meisterschaft. Ich möchte helfen, dass die Löwen ihre Ziele in diesem Jahr endlich erreichen können.
Du spielst auf die Vergangenheit an. Hast du die Bundesliga in Frankreich verfolgt?
Ristovski: Natürlich. Im Fernsehen, im Internet. Die Bundesliga ist der Maßstab, auch wenn in anderen Ländern einzelne Mannschaften europäisches Top-Niveau haben. Aber man schaut immer nach Deutschland, und die Löwen hatten zuletzt sehr viel Pech gehabt. Vor allem 2014 hatten sie den Titel wirklich verdient.
Dein Kollege Mikael Appelgren hat im Tor bislang eine hervorragende Hinrunde gespielt. Musst du dich da erst einmal hinten anstellen?
Ristovksi: Mikael ist ein junger Torwart, der noch viel Potenzial hat und bisher ein großer Rückhalt für die Löwen ist. Ich kann dagegen jede Menge Erfahrung einbringen. Wenn ich alle Abläufe kenne und die Abstimmung mit der Abwehr stimmt, kann ich der Mannschaft sicher auch weiterhelfen. Ich bin schon vom Typ her keine Nummer zwei, eine Spitzenmannschaft benötigt ein starkes Torhüter-Gespann, um Erfolg zu haben. Deshalb ist auch ein fairer Wettbewerb im Training nötig. Der Trainer muss immer Alternativen haben, und dass wir uns vom Alter und der Torwart-Ausbildung unterscheiden, kann ein weiterer Vorteil sein. So wird der Gegner immer vor neue Aufgaben gestellt.
Du sprichst die Torhüter-Ausbildung an. Gibt es da tatsächlich so einen großen Unterschied zwischen der skandinavischen und der ehemaligen jugoslawischen Torwart-Schule?
Ristovski: Da gibt es schon Unterschiede. Grob gesagt, ist die skandinavische Schule auch aufgrund der dort bevorzugten Abwehrsysteme eher aus Würfe aus dem Rückraum ausgelegt. Auf dem Balkan wird dagegen sehr viel Wert auf Torwarttechnik gegen Versuche von Außen oder über den Kreis gelegt. Deshalb können wir uns sicher gut ergänzen.
Wie bist du eigentlich auf die Torwartposition gekommen? Zufall – oder war das schon immer dein Wunsch?
Ristovski: Ich bin zum ersten Mal in der Schule mit elf, zwölf Jahren mit Handball in Kontakt gekommen. Damals war ich noch etwas fülliger und man kennt das ja: Wenn die Mannschaften zusammengestellt wurden, hieß es immer „Der Dicke muss ins Tor“ (lacht). Dabei ist es dann geblieben – auch als ich dünner wurde. Ich habe diese Position tatsächlich lieben gelernt.
Was treibt dich an, dich zwischen die Pfosten zu stellen und dich mit Würfen von über 100 km/h eindecken zu lassen?
Ristovski: Als Torwart hast du immer die Gelegenheit, ein Spiel zu entscheiden, selbst wenn du 45 Minuten lang richtig schlecht warst. Zudem habe ich richtig Spaß daran, den Gegner und deren Fans zu ärgern – vor allem in deren eigener Halle (lacht). Wenn zuhause alle deinen Namen rufen und du gut hältst, ist das prima. Aber wenn dich auswärts 10 000 Fans hassen, weil du wieder eine Chance ihrer Mannschaft zunichte gemacht hast, dann gibt mir das einen richtigen Kick. Ich spiele immer mit sehr viel Emotionen, so etwas motiviert total.
In deinem zweiten Heimspiel für die Löwen geht es am kommenden Freitag in der SAP Arena ausgerechnet gegen deinen Ex-Klub Gummersbach. Hattest du zuletzt noch Kontakt zum VfL?
Ristovski: Ja klar. Ich habe immer noch Kontakt zu einigen Spielern wie etwa Mark Bult. Und auch Geschäftsführer Frank Flatten hat sich bei mir gemeldet, als der Wechsel zu den Löwen feststand, und hat mir gratuliert. Wir sind damals nicht im Bösen auseinandergegangen und der VfL ist ein toller Verein, mit dem es wieder aufwärts geht. Aber geschenkt bekommen sie heute natürlich nichts (lacht).
Du bist im Frühjahr 2014 vom VfL für drei Monate nach Katar. Was war das für eine Erfahrung?
Ristovski: Finanziell war das natürlich interessant, aber sportlich keine Herausforderung. Ich bin schließlich noch immer in einem Alter, in dem ich auf gutem Niveau spielen kann.
Eine erschreckende Erfahrung waren sicherlich die Terror-Anschläge in Paris. Du warst zu diesem Zeitpunkt noch bei US Creteil, einem Pariser Vorort-Klub . . .
Ristovski: Das war schon sehr beklemmend. Von Creteil sind es ins Stadtzentrum gerade einmal acht Kilometer und am Wochenende geht jeder aus. Als die ersten Nachrichten gekommen sind, liefen unsere Handys heiß. Jeder hat sich erkundigt, wo die Teamkollegen sind, ob mit ihnen alles in Ordnung ist. Der Verein hat uns ebenfalls gebeten, einfach zu Hause zu bleiben. Am nächsten Tag bin ich aber wieder einkaufen gefahren. Es musste bei aller Trauer weitergehen. Ich habe schon zwei Balkankriege erlebt, da lernt man, nicht vor der Gewalt zu kapitulieren.
Hattest du Verständnis, dass an diesem Wochenende Montpellier seine Champions-League-Partie gegen die Löwen unbedingt austragen wollte?
Ristovski: Darüber kann man natürlich diskutieren, aber ich konnte das nachvollziehen. Wenn wir aus Angst damit aufhören, zum Sport zu gehen, auszugehen und unseren Alltag verändern, haben die Terroristen gewonnen. Und Montpellier und die Löwen haben vor ihrem Spiel ein starkes Zeichen gesetzt.