Veröffentlichung:

Der „halbe“ Deutsche

Bogdan Wenta trifft mit Kielce morgen in Karlsruhe auf die Rhein-Neckar Löwen

Als Bogdan Wenta im Juni 2008 einen Vertrag als Trainer bei KS Vive Kielce unterschrieb, war die Verwunderung in der Bundesliga zunächst groß. Schließlich schien der Wechsel nach Polen ein Rückschritt für den Mann zu sein, der knapp ein Jahr zuvor mit dem SC Magdeburg noch den EHF-Pokal gewonnen hatte. Unter seinen Fittichen hatte er in dieser Zeit mit Grzegorz Tkaczyk und Karol Bielecki übrigens auch zwei Löwen. Mit seinem neuen Klub, mit dem er in der vergangenen Saison das Double in Polen holte, hat sich Wenta aber einiges vorgenommen. In ein paar Jahren will der 47-Jährige eine Mannschaft aufgebaut haben, die in der Champions League zur festen Größe geworden ist. Außerdem hat er in Kielce die Möglichkeit, parallel auch weiterhin die Nationalmannschaft Polens zu betreuen.

Seinen bislang größten Erfolg als Trainer feierte Wenta Anfang 2007 nämlich in dieser Funktion in seiner zweiten Heimat Deutschland. Für viele überraschend führte er die polnische Mannschaft bei der Weltmeisterschaft ins Endspiel und errang nach einer Niederlage gegen Deutschland mit der Silbermedaille das beste Resultat in der Handball-Historie Polens. Den totalen Triumph vermieste ihm Heiner Brand, der Coach der DHB-Auswahl. Ausgerechnet der Mann, von dem Wenta in seiner Zeit als Spieler so viel gelernt hatte und der ihn 1997 überredete, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. „Ich wollte einmal an den Olympischen Spielen teilnehmen“, begründete der Abwehrspezialist damals seine Entscheidung. Mit den Polen war das Vorhaben, beim größten Sportereignis der Welt dabei zu sein, Ende des zurückliegenden Jahrtausends utopisch.

Unter dem Trainer Brand erreichte Wenta 2000 bei den Spielen in Sydney sein Ziel (Foto unten). Eine Medaille war ihm und dem deutschen Team zwar nicht vergönnt, aber trotzdem krönte das Turnier im Schatten der fünf Ringe die Spieler-Laufbahn, die ihn unter anderem zum FC Barcelona, zum TuS Nettelstedt und zur SG Flensburg-Handewitt führte. Mit den Katalanen gewann der Rückraumspieler, der seine Karriere bei Wybrzeże Gdańsk begann, zwei Mal den Europapokal der Pokalsieger (1994, 1995), was er 2001 mit den Flensburgern noch einmal wiederholte.

Zwischen 1995 und 2008 lebte Wenta in Deutschland und nicht erst mit dem Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft fühlte er sich beim westlichen Nachbarn ebenfalls heimisch. „Ich bleibe immer ein Pole, aber ich habe Deutschland lieb gewonnen“, sagte Wenta, als er nach Beendigung der aktiven Karriere bei der SG Flensburg-Handewitt als Co-Trainer arbeitete. Zwischen 2003 und 2006 hieß sein Chef Kent-Harry Andersson, der inzwischen als Sportlicher Berater bei den Rhein-Neckar Löwen tätig ist. Gemeinsam holten Andersson und Wenta 2004 das Double in den hohen Norden und von dem erfahrenen Schweden schaute sich der Pole viel ab, ehe er im Sommer 2006 Trainer in Magdeburg wurde. Nach vier Jahren als Assistenztrainer war Wenta reif für den Posten als Chefcoach.

Welche Fähigkeiten Wenta hat, bewies er sowohl an der Magdeburger Börde als auch an der Seitenlinie als polnischer Nationaltrainer. „Er hat uns den Glauben vermittelt, dass wir jeden Gegner schlagen können“, berichtet Löwen-Keeper Sławomir Szmal von dem Prozess, den der Coach seit 2004 als Auswahltrainer angeschoben und 2007 zu seinem vorläufigen Höhepunkt gebracht hatte. „Die WM in Deutschland war für mich das größte Erlebnis“, blickte Wenta einige Monate später auf das Turnier zurück, in dem die Polen die größte Überraschung waren. Der Coach hatte aus einer Ansammlung hervorragender Individualisten ein Team geformt – und wurde deshalb nach der WM mit dem Goldenen Verdienstkreuz der Republik Polen ausgezeichnet.

Mit dem fünften Platz bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking und der Bronzemedaille bei der WM 2009 in Kroatien stellte Wenta unter Beweis, dass die Silbermedaille von 2007 kein Zufall war und zählt mit seinem Team auch im Hinblick auf die Europameisterschaft Anfang 2010 in Österreich zum Kreis der Medaillenanwärter. „Ganz Polen träumt von einem Titel, und wir teilen diesen Traum“, hofft Wenta auf den großen Wurf mit der Nationalmannschaft.

Als Vereinstrainer startete er ebenfalls überaus erfolgreich, denn gleich am Ende seiner Premierensaison auf dem Chefsessel des SC Magdeburg stemmte er den EHF-Pokal in die Höhe. Nach einem 30:30-Remis im Hinspiel bei BM Aragon kämpfte der SCM die Spanier eine Woche später in der Bördelandhalle vor 8000 Zuschauern mit 31:28 nieder. Sechs Jahre nach dem Sieg in der Champions League hatte der Traditionsklub aus dem Osten erneut einen internationalen Titel geholt und schien mit dem Trainer Bogdan Wenta vor einer rosigen Zukunft zu stehen.

Doch schon wenige Wochen nach dem Triumph auf europäischer Bühne gab es Unstimmigkeiten zwischen der sportlichen Führung und den Klubbossen des SCM, die neben einigen schlechten Resultaten dazu führten, dass Wenta im November 2007 seinen Hut nehmen musste. „Das war eine große Enttäuschung, denn mit der Mannschaft in Magdeburg habe ich gerne zusammengearbeitet“, erinnert sich der Coach zurück. Nur wenige Wochen nach dem Abgang von Wenta verließen auch seine polnischen Landsleute Tkaczyk und Bielecki den SCM und wechselten zu den Rhein-Neckar Löwen.

Wenta selbst kehrte ein halbes Jahr später nach Polen zurück und unterschrieb für insgesamt fünf Jahre (bis 2013) in Kielce. Der Auftrag an den Nationalhelden ist dabei eindeutig: Neben der Dominanz in der polnischen Liga soll der den Klub auch international hoffähig machen. Mit der Qualifikation zur Gruppenphase in der Champions League hat der 47-Jährige einen ersten Schritt auf dem Weg dorthin vollbracht. Allerdings ist der Polnische Meister in der Gruppe B nur Außenseiter, obwohl Kielce mit dem Ex-Löwen Mariusz Jurasik und Rastko Stojković (HSG Nordhorn) zwei Stars aus der Bundesliga im Team hat. „Mit einem Team wie den Rhein-Neckar Löwen können wir uns noch nicht messen“, sagt Wenta vor den Duellen mit den Badenern.

Das soll sich in den kommenden Jahren aber ändern und die Verantwortlichen des Klubs hoffen darauf, dass Wenta nach Jurasik weitere polnische Nationalspieler nach Kielce holt. Ein Unterfangen, das nicht aussichtslos erscheint. „Es gibt schon bei einigen Jungs aus dem Nationalteam die Überlegung, die Karriere in Polen zu beenden“, verrät Szmal, für den das allerdings erst in ein paar Jahren in Frage kommt. Andere Akteure könnten schon eher in die heimische Liga zurückkehren, wenn Klubs wie Kielce oder Płock die Professionalisierung vorantreiben. Logisch, dass Wenta als Nationalcoach die besten Chancen hat, in dem Fall die Stars aus der Bundesliga zu sich zu lotsen.

Der Mann, der für die polnische und die deutsche Nationalmannschaft aktiv war und sich innerlich als „halber“ Deutscher fühlt, bekäme dann die Chance, den Klubs aus dem westlichen Nachbarland auf Augenhöhe gegenüber zu treten. Im Augenblick ist das noch nicht realistisch – in den Duellen gegen die Rhein-Neckar Löwen ist Kielce Außenseiter. Aber diese Rolle gefällt Wenta, denn von dort aus lassen sich Überraschungen in die Tat umsetzen.