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Der letzte Biss fehlte

Heidelberg/Chambery. Er trug kein Trikot, berührte 60 Minuten lang keinen Ball, war am Ende aber trotzdem einer der wichtigsten Personen, ein Sieggarant. Nein, gemeint ist nicht Philippe Gardent, der Trainer von Chambery Savoie. Gemeint ist der Hallensprecher, der akustische Einpeitscher im Le Phare. Denn der interpretiert seinen Job ein wenig anders als seine Kollegen aus der Handball-Bundesliga. Beim 32:27 (17:16)-Champions-League-Triumph der Franzosen über die Rhein-Neckar Löwen gab er Vollgas: Mal als Sänger, mal als Rapper, mal als Fan. Er hatte alles unter Kontrolle, war der „Vormund“ von 4.400 Fans. Kurzum: Chamberys VerbalAkrobat war der achte Mann. Unüberhörbar, ständig präsent. Auch bei Löwen-Manager Thorsten Storm hat er einen bleibenden Eindruck hinterlassen, aber keinen guten: „Mich wundert es schon, dass so etwas erlaubt ist“, grübelte der Löwen-Macher, „vielleicht war er sogar ihr stärkster Mann.“

Doch es soll kein falscher Eindruck entstehen. Im Löwen-Lager suchte man nicht nach Ausreden. Im Gegenteil. Storms Fazit: „Chambery war richtig heiß, wollte den Sieg mehr.“ Widerspruch zwecklos. Bei den Löwen fehlte diesmal nämlich etwas elementares, etwas, dass sie in den letzten Spielen stets ausgezeichnet hatte: der Siegeswille, der letzte Biss. Diesmal wirkte das Rudel satt, vollgefressen: Zufrieden mit 13 Punkten, glücklich mit dem bereits gesicherten zweiten Platz in der Hammer-Gruppe.

Gudmundur Gudmundsson, der Trainer, macht da keine Ausnahme. Er ist das auch, sprach unmittelbar nach der Pleite in Chambery von einer tollen Gruppenphase, von starken Spielen vor allem gegen Barcelona und von einem zweiten Rang, mit dem im Vorfeld nicht zu rechnen war. Nur eins fehlte bei seiner Analyse: die gute Laune. Sie war ihm abhanden gekommen, verloren gegangen im Hexenkessel am Fuße der Alpen. „Gudmi“ zur RNZ: „Nach solch einer Leistung dauert es, bis ich wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Ich bin einfach enttäuscht, dass wir diesen letzten Auftritt nicht professionell genug zu Ende gebracht haben.“

Wobei von Beginn an zu erkennen war, dass der Gast aus dem Badischen, der nur dann noch den Gruppensieg hätte erreichen können, wenn Kiel im Fernduell ein Patzer unterlaufen wäre, nicht zu hundert Prozent auf Sieg ausgerichtet war: Es wirbelte die vermeintliche zweite Reihe. Robert Gunnarsson, Grzegorz Tkaczyk und auch Gudjon Valur Sigurdsson rückten zunächst auf die Platte, ersetzten unter anderem auch Uwe Gensheimer, den Scharfschützen vom Dienst. Dass die Gelbhemden zur Pause nur mit einem Tor hinten lagen, verdankten sie ihrem Torwart. Henning Fritz glänzte. Gerade in den Eins-gegen-Eins-Situationen lehrte er die Franzosen das Fürchten, bewies seine Klasse, sein Stellungsspiel. „Henning hat seine Sache gut gemacht“, lobte Storm, „aber auch Markus Rominger spielte in der zweiten Halbzeit gut.“

Vom Rest empfahl sich keiner. Möglicherweise befand sich der eine oder andere gedanklich schon bei der Nationalmannschaft. Heute ab 19 Uhr rückt aber nochmals der Verein in den Fokus. Alle schauen nach Wien. Dort wird ausgelost, die Achtelfinal-Paarungen der Königsklasse ermittelt. Die Löwen befinden sich als Gruppen-Zweiter in einer vermeintlich guten Ausgangsposition: Sie treffen auf einen Dritten. Doch was heißt das schon? Nichts. Knifflige Aufgaben warten so der so. Sogar eine Mammutaufgabe ist denkbar: Ein deutsches Duell mit dem HSV Hamburg, dem Spitzenreiter der Bundesliga, droht. Ebenfalls im Lostopf: Croatia Zagreb und Pick Szeged. Storm und Gudmundsson blicken der Auslosung entspannt entgegen. Der Manager: „Wunschgegener gibt es im Achtelfinale ohnehin nicht.“

Von Daniel Hund

 07.03.2011