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Sigurdsson – Kapitän in der Krise

Chambéry. Im vierten Versuch war der Ball endlich drin. Doch auch das konnte Gudjon Valur Sigurdsson (Bild) nicht trösten. Denn der Isländer wusste: Er hätte bei der 27:32-Niederlage der Rhein-Neckar Löwen in der Handball-Champions-League beim französischen Vizemeister Chambéry Savoie wesentlich mehr Tore erzielen müssen.

Niedergeschlagen schlich der Isländer nach der Begegnung durch die Halle. Der 31-Jährige wirkte nachdenklich. Keine Frage: Diese Partie ging am Kapitän, der im Dezember nach langer Verletzungspause sein Comeback gefeiert hatte, nicht spurlos vorbei. „Ich habe schlecht gespielt, da gibt es nichts zu diskutieren“, sagte der Rechtshänder, dem zuletzt hinter dem überragenden Uwe Gensheimer nur die Zuschauerrolle geblieben war: „Ich fühle mich fit, aber ich habe keine Spielpraxis. Das Timing, das Gefühl in der Abwehr, die Sicherheit beim Gegenstoß – alles fehlt mir. Und das ist nur schwer aufzuholen.“

Wer den Vorzeigesportler, diesen unermüdlichen Kämpfer Sigurdsson kennt, ist geneigt, Mitleid mit ihm zu haben. Einen Mann wie ihn gibt es nur selten. Anstatt sich zu verkriechen, stand „Goggi“ auch in Chambéry Rede und Antwort. So wie immer. In guten und in schlechten Zeiten. Und er fand die gewohnt klaren Worte, was seine eigene und auch die Leistung der Mannschaft anging.

„Wir waren in allen Bereichen schwächer“, gestand der Linksaußen, der auch die komfortable Ausgangsposition der Löwen nicht als Ausrede gelten lassen wollte. Immerhin war den Badenern der zweite Platz schon im Vorfeld sicher. „Aber das darf uns nicht beeinflussen. Wir wollten Kiel unter Druck setzen und gewinnen, um vielleicht noch Gruppensieger zu werden“, redete der Kapitän nicht um den heißen Brei herum – und genau deshalb ist er so ein Sympathieträger.

Doch was wird jetzt aus ihm? „Gensheimer hat stark gespielt. Es gibt keinen Grund, etwas zu verändern. Jeder Trainer stellt die Besten auf, denn sein Job hängt vom Erfolg ab“, machte Sigurdsson seinem Coach Gudmundur Gudmundsson keine Vorwürfe: „Ich muss die Situation akzeptieren. Es ist schwer, in wenigen Einsätzen das zu zeigen, was man will. Man nimmt sich dann zu viel vor. Trotzdem bin ich enttäuscht von dem, was ich in Chambéry geboten habe.“ Sigurdsson wird vorerst nichts anderes übrigbleiben, als sich mit der Rolle der Nummer zwei zufriedenzugeben.

Oder er verlässt den Klub im Sommer. „Man muss über alles reden“, meinte der Isländer: „Ich bin 2008 unter anderen Voraussetzungen gekommen und habe mittlerweile einige Trainer erlebt. Ich kann jetzt nicht sagen, ob ich bleibe oder gehe. Wenn der Verein weiter mit mir plant, können wir gerne noch miteinander arbeiten. Aber zurzeit kann ich mir das schwer vorstellen.“

Einmal in Spanien zu spielen – das war immer der Traum des Linksaußen. „Aber meine Kinder gehen in Deutschland zur Schule. Es ist nicht immer so einfach, den Verein zu wechseln“, sagte der EM-Dritte von 2010: „Ich will natürlich für einen guten Klub spielen – und da kommen nicht so viele infrage. Momentan denke ich daran aber nicht. Ich will meine Form finden. In meiner jetzigen Verfassung bin ich höchstens eine Verstärkung für die Oberliga-Mannschaft.“

Von Thorsten Hof

 07.03.2011