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Derbysieg als Dosenöffner? (MM)

GÖPPINGEN. Danach dürfte er sich wohl selbst erschrocken haben. Stefan Kretzschmar, einst einer der Hauptkritiker der Rhein-Neckar Löwen, ließ sich in der vergangenen Woche dazu verleiten, etwas Gutes über den Handball-Bundesligisten zu sagen. Er lobte die Personalpolitik der Badener, benutzte sogar das Wort sympathisch. So etwas war vom Handball-Punk zuvor eigentlich nie zu hören, lieber hielt er flammende Reden auf Traditionsvereine und setzte geschickt die eine oder verbale Spitze gegen den Emporkömmling aus dem Südwesten.

Doch was in diesem Sommer bei den Löwen geschah, gefällt „Kretzsche“ offenbar. Zwar vollzogen die Badener wieder einen Umbruch, doch diesmal scheinen sie echte Typen an Land gezogen haben, die nicht nur für Geld, sondern auch für die Herzen der Fans spielen. Lust und Leidenschaft waren beim 30:25-Sieg bei Frisch Auf Göppingen zu sehen, mit Keeper Niklas Landin, Alexander Petersson, Kim Ekdahl du Rietz, Marius Steinhauser und Gedeón Guardiola standen gleich fünf Neuzugänge in der Startformation – und sie alle machten ihre Sache gut, die überragenden Landin (18 Paraden) und Petersson (acht Tore) sogar sehr gut.

„Es ist vielleicht ein Vorteil, dass alle erst ein paar Tage bei uns sind. Anders kann ich mir diese Leistung nicht erklären“, meinte Löwen-Manager Storm, der für seine Transferpolitik von Frisch-Auf-Geschäftsführer Gerd Hofele prompt ein Lob einheimste: „Ich muss meinem Kollegen ein Kompliment machen. Trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten hat er eine tolle Mannschaft zusammengestellt, das ist immer noch eine Weltauswahl.“

Worte wie diese taten den Löwen gut, insbesondere an diesem Ort, an dem sie schon ganz andere Momente erlebten: Vor vier Monaten schieden die Badener in der EWS-Arena im EHF-Cup aus, Ende 2010 kassierten sie dort eine 31:35-Niederlage, was im Anschluss zu einer ziemlich hitzigen Pressekonferenz führte. Doch all das war am Sonntag vergessen. Die Löwen genossen den Triumph über den ungeliebten Landesrivalen, Manager Storm wollte indes nicht von Genugtuung sprechen und richtete den Fokus bereits eine Woche weiter auf die Partie am Samstag (19 Uhr) bei der MT Melsungen: „Jetzt werden uns all diejenigen loben, die uns vorher arrogant fanden. Wir bleiben ganz ruhig, konzentrieren uns auf die nächste Begegnung. Dieses Spiel wird genauso schwer wie in Göppingen.“

Stolzer Uwe Gensheimer

Und doch ist diese Aufgabe lösbar, wenn die Badener die Sache konzentriert angehen. In den vergangenen Jahren standen Ausrutscher – insbesondere nach guten Vorstellungen zuvor – auf der Tagesordnung. „Wir müssen diese Leistung konstant abrufen“, forderte deshalb auch Kapitän Uwe Gensheimer, dem der Stolz auf diesen Sieg förmlich anzumerken war. Denn die Löwen glänzten nicht nur, sondern zeigten in kritischen Situationen auch Charakter. Keine Frage: Der Derbysieg, er könnte der Dosenöffner für eine erfolgreiche Saison sein.

„Es war toll zu sehen, wie wir mit Rückschlägen umgegangen sind. Wir haben Unterzahlsituationen überstanden und auch nur die kleinsten Versuche einer Göppinger Aufholjagd im Keim erstickt“, freute sich Gensheimer, dass zu keiner Zeit ein Gang rausgenommen wurde. Das war bei den Löwen nicht immer so, in dieser Mannschaft scheint jedoch ein anderer Geist zu herrschen. Geschäftsführer Storm ist auf jeden Fall fürs Erste zufrieden: „Wenn der ,Kretzsche‘ schon die Löwen lobt, sind wir auf einem guten Weg.“

Von Marc Stevermüer