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Die zwei Gesichter (RNZ)

Lübbecke. Gudmundur Gudmundsson kratzte sich. Am Hals, an der Stirn, dann wieder am Hals. Oliver Roggisch stand direkt daneben, schaute einfach nur in die Luft: Regungslos, orientierungslos. Und plötzlich schauten sie sich dann an, die Beiden. Der Trainer und sein Abwehrchef, vereint im Frust, in der Trauer. Gemeinsam versuchte man Sekunden nach der Schluss-Sirene das zu verarbeiten, was eigentlich nicht zu verarbeiten war: den Knock-Out, den Last-Second-Tiefschlag in der Lübbecker Kreissporthalle. Dort, wo die Rhein-Neckar Löwen eigentlich alles im Griff hatten, mehrfach auf der Siegerstraße waren, um am Ende doch noch ins Tal der Tränen zu stürzen. Nettelstedts Daniel Svensson sorgte dafür. In der Schluss-Sekunde. Mit einem Aufsetzer. Einem, den er aus 15 Metern mit letzter Kraft im Fallen aufs Löwen-Tor feuerte. Ende, Schluss, Aus! Der Treffer zählte, besiegelte die 31:32 (17:17)- Pleite der Badener. Unfassbar!

Verstehen konnte sie nämlich keiner. Nicht diese, nicht an diesem Abend. Verlieren ja, aber warum so? Warum so ein Spiel, gegen einen Gegner, den man eigentlich im Sack hatte? Erklärungsansätze fielen da schwer. Manche versuchten es trotzdem. Thorsten Storm zum Beispiel. Der Manager, der tief enttäuschte Manager: „Das ist sehr frustrierend. Wir hatten das Spiel mehrfach unter Kontrolle und nehmen dann das Tempo raus.“ Undweiter: „Auswärts darf man in der Bundesliga einfach keine 14 technischen Fehler produzieren!“

Vor dem Anpfiff waren die Sorgenfalten noch nicht ganz so tief. Aber dennoch nicht zu übersehen. Schuld war die Ungewissheit: Keiner wusste nach der dreiwöchigen Spielpause, wo man steht. Spätestens Mitte der ersten Halbzeit wichen die Falten jedoch: Es lief. Vorne und hinten. Vor allem dank ihrem letzten Mann, dem, der zwischen den Pfosten die Arme ausbreitete: Goran Stojanovic, 34, Handball-Torhüter von Beruf. Phasenweise glich er einer Mauer: schier unüberwindbar und stark. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal, vier Mal: Zwischen der 17. und 21. Minute kam man sich vor wie in einem Videospiel. In der Hauptrolle: Goran Stojanovic als Superheld mit Superkräften. In der Opferrolle: Die Offensiv- Abteilung der TuS N-Lübbecke. Egal, was sie auch machten, es ging schief. Der Montenegriner war unbesiegbar, auf Rekordjagd in seinem ganz persönlichen Extra-Level. Und das zahlte sich aus: in Toren, die auf der anderen Seite fielen. Spielend leicht zog das Rudel von 10:10 auf 14:10 davon. Siegessicher wirkte man da, lachte und grinste um die Wette.

Doch so schnell die komfortable Führung und das selbstsichere Grinsen kamen, so schnell war der Vorsprung auch wieder verspielt. Denn was in dieser Saison bislang oft galt, galt auch in Lübbecke: Das einzig Konstante ist die eigene Unkonstanz. Die zwei Löwen-Gesichter eben. Das entschlossene und das sorglose. Da ist man hilflos. Selbst als Trainer. Aber nicht sprachlos. Gudmundsson: „Wir waren phasenweise leider nicht aggressiv genug und haben uns Fang- und Passfehler erlaubt, die ehrlich gesagt unerklärlich sind.“

„Gudmi“, der ansonsten stets bemüht ist, schützend die Hand über seine Schützlinge zu legen, tat das diesmal nicht. Zu tief saß die Enttäuschung:„Mich ärgert so etwas einfach ungemein. Weil es absolut unnötig war.“ Insbesondere die Leistung in der Schlussphase brachte den Isländer auf die Palme. Und das zu Recht: Mit drei technischen Fehlern vermasselten sich die Gelben den Sieg selbst.

Dass es am Ende nicht einmal zu einem Unentschieden reichte, ist noch ärgerlicher. Andererseits: Sauste Svenssons Last-Second-Fackel wirklich noch innerhalb der regulären 60 Minuten über die Torlinie? Eher nicht. Zumindest,wenn man die Fernsehuhr als Maßstab nimmt: Bei Sport1 war das Spiel zu diesem Zeitpunkt nämlich schon vorbei. „Wenn das stimmt, wäre das natürlich ein Hammer“, grübelte Gudmundsson, „ich selbst konnte das während der Partie nicht kontrollieren. Wir müssen das nun nochmals prüfen.“ Bei all dem Löwen-Ärger, es gab auch zwei Löwen-Lichtblicke, die nicht vergessen werden dürfen: Ivan Cupic, den Rückkehrer, und Bjarte Myrhol, den Kreismann. Ihr Trainer: „Beide haben sich stark präsentiert. Bjarte mit einer Trefferquote von 7:7 sowieso.“

Schon am Mittwoch im Heimspiel gegen Hildesheim (20.15 Uhr) werden sie mehr davon brauchen.

Von Daniel Hund