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„Eine andere Entwicklung als angenommen“ (MM)

Mannheim. Publikumsliebling, Torjäger und Führungsfigur – all das ist Uwe Gensheimer bei den Rhein-Neckar Löwen. Der Mannheimer reifte beim Handball-Bundesligisten vom Talent zum Nationalspieler. Im Interview spricht er vor dem Pokal-Kracher am Mittwoch (20.45 Uhr) gegen den HSV Hamburg über die stets wiederkehrenden Ausrutscher, die Ambitionen der Löwen und seine persönlichen Perspektiven.

Uwe Gensheimer, nach schlechteren Leistungen folgten zuletzt zwei überzeugende Löwen-Siege gegen Großwallstadt und Gummersbach. Ist die Mini-Krise beendet?

Uwe Gensheimer: Wenn man sich die zwei Partien anschaut, kann man davon ausgehen. Das waren sehr gute Mannschaftsleistungen. Es gilt jetzt, sich auf die nächsten Gegner genauso zu konzentrieren und die Leistungen zu bestätigen.

Genau das gelang in der Vergangenheit aber selten. Zu oft leisteten sich die Löwen unerwartete Ausrutscher. Wie erklären Sie sich das?

Gensheimer: Es gibt Phasen im Sport, in denen es nicht läuft und in denen man sich zu viele Gedanken macht. Dann sieht das auf dem Feld so aus, als wenn man mit 20 Prozent weniger Engagement agiert. Aber so ist das nicht. Diese Mannschaft hat kein Problem mit der Einstellung. Es ist einfach so, dass nach Negativ-Erlebnissen die Sicherheit fehlt. Aus dieser Spirale kommt man nur heraus, wenn man sich Erfolgserlebnisse hart erarbeitet. Und das haben wir jetzt getan.

Was war das Wichtige an diesen beiden Siegen?

Gensheimer: Jeder Spieler hatte seinen Anteil daran, was für das Kollektiv sehr wichtig ist. Es geht nur über die Geschlossenheit. Keiner darf sich ausgeschlossen fühlen, nur weil er mal weniger Spielanteile erhält. Jeder muss begreifen, dass wir jeden Spieler brauchen und es völlig egal ist, ob jemand fünf oder 60 Minuten auf dem Feld steht. Selbst wenn jemand mal nicht zum Einsatz kommt, kann er die Mannschaft von der Bank aus unterstützen.

Bei den Löwen wird über fehlende Führungsspieler diskutiert. Wie bewerten Sie das als Kapitän?

Gensheimer: Ich versuche immer, meinen Nebenleuten meine Sichtweise weiterzugeben und in den Auszeiten das Wort zu ergreifen. Ich habe dafür zu sorgen, dass aus der Mannschaft alle in die gleiche Richtung gehen. Das angebliche Problem der fehlenden Führungsspieler sehe ich bei uns nicht. Wir haben viele erfahrene Leute im Kader. Die wissen, worauf es ankommt. Zarko Sesum, Børge Lund und Andy Schmid sind drei Top-Spielmacher, die Verantwortung im Angriff übernehmen. Und dann haben wir in Oliver Roggisch einen routinierten Abwehrmann, der uns sagt, wo es langgeht.

Wie bewerten Sie die Entwicklung des Klubs, der in Person des Haupt-Geldgebers Jesper Nielsen zwar Titel ankündigte, diese aber nicht gewann? Herrscht Stillstand?

Gensheimer (lacht): Nein, Stillstand herrscht bei uns ja eigentlich nie. Es gibt immer etwas, worüber die Medien berichten können. Aber natürlich hat sich alles etwas anders entwickelt, als man es vor zwei Jahren annehmen konnte. Niemand konnte wissen, dass sich Jesper Nielsen so schnell wieder zurückziehen möchte. Das ist für alle keine einfache Situation. Ich denke da nur an das Ende der vergangenen Saison, als wir uns trotz der Unruhe fürs Final Four der Champions League qualifiziert haben. Dieser nicht selbstverständliche Erfolg ist angesichts der Personal-Diskussionen fast untergegangen. Dabei hatten wir im Viertelfinale in Montpellier gewonnen, was nicht vielen Teams gelingt. Aufgrund der Unruhe erhielt dieser Erfolg teilweise nicht die Wertschätzung, die er verdient gehabt hätte.

Ihre Vertragsverlängerung 2010 begründeten Sie damit, dass man Ihnen bei den Löwen Kontinuität versprochen hatte. Wurde das eingehalten?

Gensheimer: Damals hatten wir eine andere Situation. Wie gesagt: Niemand konnte ahnen, dass sich die Interessen von Jesper Nielsen und die wirtschaftliche Situation des Klubs so schnell verändern. Was alles jetzt Drumherum passiert, ist aber nicht die Aufgabe der Mannschaft. Wir müssen uns auf das Sportliche konzentrieren. Wir können die Zukunft des Vereins nur mit unserer sportlichen Leistung beeinflussen und gehen davon aus, dass sich alles wieder in die richtige Richtung entwickelt. Ich bin froh, bei den Löwen spielen zu können.

Aber Sie wollen doch mal Meister werden. Müssen Sie dann nicht nach Kiel gehen?

Gensheimer (lacht): Na ja, in diesem Jahr ist Hamburg Meister geworden. Nein, Spaß beiseite. An meine persönliche Zukunft denke ich momentan überhaupt nicht, ich stehe bis 2014 bei den Löwen unter Vertrag. Es stimmt allerdings, dass ich mir mittelfristig Gedanken über einen Wechsel machen müsste, wenn wir mit den Löwen nicht mehr zu den Topteams gehören würden. Aber davon gehe ich augenblicklich nicht aus. Ich werde alles dafür tun, dass wir erfolgreich sind. Und ich verfolge nach wie vor das Ziel, mir meinen Meistertraum mit den Löwen zu erfüllen.

Das dürfte aber noch ein paar Jahre dauern. Welche kurzfristigen Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Klub?

Gensheimer: Momentan haben wir sicherlich nicht das Niveau, um mit Kiel mithalten zu können. Der Blick auf die Tabelle tut da schon weh. Vor allem, wenn man sieht, gegen welche Gegner wir Punkte hergeschenkt haben. Aber wir werden wieder bessere Zeiten erleben. Kurzfristig möchte ich am Mittwoch im Pokal Hamburg besiegen, weil wir wieder zum Final Four wollen. In der Bundesliga ist die Champions-League-Qualifikation noch möglich. Und im EHF-Cup können wir, wie unsere Rivalen Magdeburg und Göppingen auch, den Titel gewinnen.

Von Marc Stevermüer