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«Er ist für mich der beste Spieler der Welt» (1815)

Der Schweizer Bundesliga-König Andy Schmid sieht Weltklasse als Courant normal

Andy Schmids Einfluss im deutschen Handball-Paradies ist grösser denn je. Der Star der Rhein-Neckar kämpft wie ein Löwe um seine erste Bundesliga-Trophäe. Schauplatz Mannheim, Nord-Süd-Gipfel, Rhein-Neckar vs. Flensburg-Handewitt–über 13000 Anhänger füllen die multifunktionale Arena. Vor dem ausverkauften Stadion bemühen sich weitere Zuschauer vergeblich um ein Ticket. Der Bundesliga-Leader zieht die Baden-Württemberger Fans magisch an, die Reichweite des Klubs ist bemerkenswert. Das Refugium reicht bis zur Main-Metropole Frankfurt.

Vor dem Topspiel der 22. Runde bieten die Veranstalter eine elektrisierende Pre-Show. Die einheimischen Spieler erscheinen auf einem mächtigen Video-Würfel in der Rüstung von römischen Gladiatoren. Feuer spuckende Säulen sind Teil des Spektakels, die Passion für den Sport mit dem kleinen Ball ist nicht erst seit dem EM-Titelrausch der DHB-Auswahl entflammt. «So muss es sein.» Die prickelnde Atmosphäre ist für Andy Schmid auch nach dem 265. Einsatz mit dem Bundesligisten ein Genuss. «Hier wird der Handballsport Woche für Woche gelebt.»

Die TV-Ratings und andere Kennzahlen belegen das hohe öffentliche Interesse. An Spitzentagen lockten die deutschen EM-Stars 13 Millionen vor die Fernsehgeräte. Die Klubs der besten Liga Europas wirtschaften pro Jahr mit rund 75 Millionen Euro.

In Mannheim stehen zwar weniger Mittel zur Verfügung als beim Serienmeister THW Kiel oder in Flensburg, in der erweiterten Kurpfalz ringen diverse (Fussball-)Vereine um Sponsorengeld, trotzdem wurde während einer Dekade ein erstklassiges Produkt geschaffen–und die Sehnsucht generiert, endlich dauerhaft zur Nummer 1 aufzusteigen. Schmid und Co. spüren den Druck täglich: «Auf diesen Moment wartet eine ganze Region. Die Erwartungshaltung ist gewaltig.» Bis zur 22:25-Niederlage gegen den Cupsieger Flensburg zelebrierte Rhein-Neckar 23 Heimsiege in Folge. Im Gegensatz zum erodierten Fussball-Labor Hoffenheim und den schlingernden Hockey-Stars von Adler Mannheim, den in dieser Saison ein Grounding droht, fliegt der Harzball im Sportkonglomerat der Unternehmer-Familie Hopp auf höchstem Niveau–mit einem kleinen Makel: Im Palmarès der Ambitionierten fehlt der Meistertitel.

Im elften Jahr seit dem Aufstieg ist das Verlangen nach der wichtigsten nationalen Trophäe gross wie nie zuvor. Zweimal in Folge war den Süddeutschen der Triumph am letzten Spieltag entglitten–2014 fehlten zwei Plustore, vor neun Monaten zwei Punkte. «In der Liga ist es an der Spitze unglaublich eng», sagt Schmid. «Die Konkurrenz aus dem Norden ist hochklassig.»

An die dünne Luft hat sich der Regisseur nach sechs Bundesliga-Spielzeiten gewöhnt. Der gnadenlose Kampf um jeden Quadratzentimeter ist für ihn im Geschäft der Weltbesten der Courant normal. «Das zehrt extrem, kostet Energie. An mir hängt viel, aber das ist gut so.»

Schmid hat gelernt, mit den beträchtlichen Ansprüchen umzugehen. Dazu gehört auch die sofortige Verarbeitung von unfreundlichen Ergebnissen wie das 22:25 im missratenen Big-Point-Spiel gegen Flensburg-Handewitt. «Wenn du einen grossen Titel gewinnen willst, musst du Klippen umschiffen können.»

Die Löwen sind auf ihren mental robusten Schweizer Taktgeber angewiesen. «Ohne Andy geht es hier nicht», formuliert es der dänische Rhein-Neckar-Trainer Nikolaj Jacobsen. «Er macht oft den Unterschied, weil er in der Lage ist, meistens die richtige Lösung zu finden.»

Ritterschläge kommen nicht nur aus den eigenen Reihen. Der Flensburger Selektionär Ljubomir Vranjes, früherer Champions-League-Sieger, Welt- und Europameister, hob Schmid verbal auf den Thron: «Er ist in meinen Augen derzeit der beste Spieler der Welt. Der steuert alles, macht besondere Sachen nicht nur einmal, sondern 20-mal hintereinander. Beeindruckend.»