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„Hätten auch jedes Brettspiel verloren“ (MM)

Rhein-Neckar Löwen schauen nach dem Debakel gegen Kiel auf das große Ganze / Lars Christiansen hilft vielleicht bis zur WM-Pause aus

MANNHEIM. Die Fans erhoben sich von den Sitzen, sie klatschten, munterten die Spieler auf. „Sie haben nicht vergessen, was bei uns in den vergangenen vier Monaten passiert ist“, sagte Patrick Groetzki. In der Top-Partie der Handball-Bundesliga hatte der Rechtsaußen mit den Rhein-Neckar Löwen eine bittere 17:28-Niederlage gegen den THW Kiel kassiert: „Doch was nach der Partie hier passiert ist, habe ich noch nie erlebt. Ich bekam eine Gänsehaut. Dieser Zuspruch macht es mir einfacher, diese Niederlage zu verkraften.“ Auch Abwehrchef Oliver Roggisch tat die Unterstützung gut: „Ich habe keine Pfiffe gehört, sondern Applaus. Wir dürfen nicht den Fehler machen und nur diese Begegnung sehen, sondern müssen die ganze Saison betrachten. Die Höhe der Niederlage gefällt mir zwar nicht – aber wir müssen das abhaken. „

Ekdahl du Rietz ärgert sich

Verständlicherweise gelang das nach dem Debakel nicht sofort jedem. „Gegen den THW zu verlieren, ist die eine Sache. Aber die Art und Weise tut weh. Wir können viel besser spielen“, lag Kim Ekdahl du Rietz das Debakel richtig schwer im Magen. Die Badener leisteten sich einen kollektiven Totalausfall und früh war klar, dass der Sieger Kiel heißen würde. „So kurz nach dem Abpfiff ist der Schmerz ziemlich groß. Wir haben jegliche Durchschlagskraft und Kreativität vermissen lassen. Schon nach zehn Minuten hatte jeder von uns einen Fehlwurf, da wird es natürlich schwer. Wir haben leider einen gebrauchten Tag erwischt und hätten auch jedes Brettspiel verloren“, fasste Regisseur Andy Schmid die 60 Minuten mit einem flotten Spruch treffend zusammen: „Letztendlich haben wir aber nur zwei Zähler verloren und schon 13 Spiele gewonnen. Wie wir gegen Kiel untergegangen sind, lässt mich jedoch momentan nicht auf unsere 26 Pluspunkte schauen.“

Das Duell mit dem Branchenprimus ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass wohl auch in dieser Saison niemand einen Durchmarsch der Norddeutschen verhindern wird. „Gott sei Dank spielt man gegen Kiel nur zwei Mal im Jahr. Wenn wir den Rest gewinnen, stehen wir am Ende auch oben in der Tabelle“, unterstrich Roggisch, dass die „Zebras“ einfach eine Klasse für sich sind. Die zwei Niederlagen zuletzt in der Champions League hatten den THW gereizt, erste Zweifel an der Kieler Dominanz wurden vom Triple-Sieger als Majestätsbeleidigung empfunden – das bekamen die Löwen zu spüren. „Wir haben uns mit der weltbesten Mannschaft gemessen. Und jetzt wissen wir, dass viel Arbeit vor uns liegt“, sagte Trainer Gudmundur Gudmundsson: „Bislang lief alles gut bei uns. Nach dieser Niederlage müssen wir zeigen, dass wir zusammenstehen.“

Immer wieder scheiterten die Löwen am Kieler Torwart Thierry Omeyer, die Trefferquote von der Außenposition belief sich nur auf 20 Prozent. Vielleicht wäre die Bilanz besser gewesen, wenn Uwe Gensheimer (Achillessehnenriss) mitgespielt hätte. Aber an seinem Vertreter Kevin Bitz lag es nicht, dass die Gelbhemden verloren. „Ich möchte jetzt nicht sechs Monate lang die Frage beantworten, wie sehr Uwe uns fehlt“, stellte Schmid klar, dass der Erfolg nie von einem Einzelnen abhänge. Und Roggisch ergänzte: „Uwes Ausfall vorzuschieben, wäre eine schlechte Ausrede. Kevin hat seine Sache ordentlich gemacht. Er war einer der Besseren bei uns.“

Und trotzdem sind die Löwen auf der Suche nach einem neuen Linksaußen. Manager Thorsten Storm hofft darauf, dass Lars Christiansen, der im Sommer seine Karriere beendet hatte, bis zum Jahreswechsel aushilft. „Ich habe Lars angerufen, aber er fühlt sich nicht fit. Er will jetzt eine Woche trainieren und sich melden. Wenn Lars zusagt, wäre das ein Freundschaftsdienst bis zur WM-Pause.“ Zudem sei man sich mit einem weiteren Profi einig, der dann im Januar zu den Löwen stoßen werde: „Dieser Spieler würde auch länger als bis zum Ende der Runde bleiben. Nächstes Jahr werden wir definitiv mit zwei Linksaußen in die Saison gehen.“

Gislason: War nur das Hinspiel

Probleme dieser Art kennt THW-Trainer Alfred Gislason nicht. Ihm stehen für jede Position zwei Weltklassespieler zur Verfügung, was eigentlich nur zum 18. nationalen Titel führen kann. Doch trotz der Handball-Demonstration in Mannheim bleibt der Isländer auf der Hut. Er hat die Badener nach wie vor auf dem Zettel: „Das war das Meisterschafts-Hinspiel. Ich würde mich nicht wundern, wenn die Löwen bis März wieder keinen Punkt abgeben.“

Das Lob nahmen die Gelbhemden natürlich gerne an, Storm schaute deshalb auch auf das große Ganze: „Ich bin stolz auf diese Mannschaft. Wir werden jetzt nicht einbrechen und haben nie gesagt, dass wir auf Augenhöhe mit Kiel sind. Der THW hat diese Saison die beste Mannschaft. Ob das in der nächsten Spielzeit auch so ist, muss man abwarten.“ Soll heißen: Die Löwen haben ihren Umbruch schon hinter sich, den Norddeutschen steht er noch bevor.

Von Marc Stevermüer