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Hamburg im Hinterkopf

Eppelheim. In der altehrwürdigen Rhein-Neckar-Halle gibt es einen langen Gang, quasi ein Spielertunnel im 50er-Jahre-Stil, im Retro-Look. Er verbindet sämtliche Kabinen und ist durch mehrere hellbraune, knarzende Türen unterteilt. Am Sonntag war er eine Art Treffpunkt. Überall standen Spieler. Vornehmlich Polen. Die von Kielce, aber auch die polnische Scharfschützen-Abteilung der Rhein-Neckar Löwen mischte sich unters Volk: Karol Bielecki und Grzegorz Tkaczyk. Barfuß, ganz ungezwungen, grinsend. Kurz zuvor war das noch anders. Da wurde gekämpft. Um jeden Zentimeter, um jeden Ballbesitz, um Champions-League-Punkte. Es ging hoch und runter, vor und zurück. 60 Minuten lang. „Kielce war der erwartet schwere Gegner“, pustete Thorsten Storm, der Löwen-Manager, tief durch: „Gut, dass unsere Jungs in der zweiten Halbzeit so viel Charakter gezeigt haben.“

Und Emotionen. Die nach dem 29:27-Sieg in einem Freudentanz gipfelten. Am Mittelkreis versammelten sie sich, Arm in Arm, hüpften vor Glück. Ein Bild, an das man sich als Löwen-Fan gewöhnen könnte. Es wirkte ansteckend, machte gute Laune. Und die soll auch morgen gegen 21 Uhr wieder greifbar sein. Dann ist es nämlich rum, das Viertelfinale im DHB-Pokal gegen die MT Melsungen. Tatort ist wieder ab 19 Uhr die Eppelheimer Rhein-Neckar-Halle. Dort, wo die Badener in dieser Saison bereits zwei Mal gespielt haben, zwei Mal geglänzt haben.

Diesmal wäre eine Gala aber besonders wichtig. Storm nickt, wirkt fokussiert: „Das ist ein Endspiel für uns. Der letzte Schritt zum Final Four nach Hamburg, wo wir unbedingt erneut dabei sein möchten.“ Der Adrenalinschub wird beim Manager also wieder riesig sein. Aber auch bei allen anderen, die den Löwen im Herzen tragen.

Klar ist: Ein Selbstläufer wird es nicht. Die Nordhessen kommen, um zu gewinnen und haben als Tabellen-Vierzehnter der Handball-Bundesliga nichts zu verlieren. Storm warnt: „Melsungen ist deutlich stärker als es der Tabellenstand vermuten lässt. Der Trainerwechsel hat ihnen gut getan.“

Apropos Trainerwechsel, seit Mitte Oktober 2010 gibt dort ein alter Bekannter den Ton an: Michael Roth, der Ex-Krösti. Für ihn wird der Mittwoch zu einer Reise in die Vergangenheit. Die Rhein-Neckar-Halle kennt er in- und auswendig. Mit den Kröstis hat er dort viele Schlachten geschlagen, schöne und nicht so schöne Momente erlebt: „Da kommen viele Erinnerungen hoch“, gesteht Roth im RNZ-Gespräch: „Dinge, die du nie vergessen wirst.“

Klingt ein wenig sentimental. Doch das täuscht: Roth tüftelt bereits am Masterplan, an der Erstürmung der Rhein-Neckar-Halle. Was volle Konzentration erfordert. Gerade gegen die Löwen: „Es ist schwer sich auf sie einzustellen. Weil sie auf allen Position top besetzt sind.“ Vor allem die sonntägliche Wiedergeburt von Tkaczyk passt laut Roth diesbezüglich ins Bild: „Da spielt der wochenlang gar nicht mehr und trifft in der Champions League prompt sechs Mal.“

Der Respekt ist da, das spürt man. Aber keine Angst. Roth weiß um den psychologischen Vorteil, sagt: „Für die Löwen wäre es eine Blamage, wenn sie an uns scheitern. Für uns wäre es dagegen der Normalfall, wenn wir verlieren.“ Insgeheim hofft „Schorle“ zudem auf einen schlechten Tag der Löwen, auf einen Aussetzer. Er lacht: „Die kommen bei ihnen ja häufiger vor, genau wie leider auch bei uns.“ Man darf also gespannt sein.

Von Daniel Hund

 01.03.2011