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Handball-Trainer Nikolai Jacobsen ist von Qualitäten der HSG Wetzlar gewarnt (GA)

Löwen-Trainer im Interview vor dem Duell gegen Wetzlar

Herr Jacobsen, wenn Ihnen jemand zum Rundenbeginn gesagt hätte, nach zehn Spieltagen stehen Sie mit Ihrer Mannschaft mit 20:0 Punkten einsam an der Spitze der Bundesliga, was hätten Sie damals geantwortet?

Nikolai Jacobsen: Ich hätte gesagt, ich hoffe, Sie haben recht. Wir genießen diese Momentaufnahme mit 20:0 Punkten, profitieren aber auch davon, dass einige andere Favoriten schon Punktverluste hatten, die man vor der Saison so sicher nicht erwartet hätte.

Nach der letzten Runde haben Sie Leistungsträger wie Niklas Landin und Bjarte Myrhol ziehen lassen müssen, doch auf deren Positionen gab es bislang keinen Leistungsabfall, weil Sie die richtigen Akteure als Ersatz geholt haben. Wie kann ein Trainer im harten Transfergeschäft Einfluss auf die Spielerverpflichtungen nehmen?

Jacobsen: Natürlich habe ich als Trainer meine Vorstellungen und Wünsche, was die Zusammenstellung meines Kaders angeht. Ich muss ja auch jeden Tag mit den Spielern arbeiten und trage auch die Verantwortung, wenn es nicht so gut läuft. Aber auch bei den Rhein-Neckar Löwen wird verantwortungsvoll gewirtschaftet, ich muss mich an einen finanziellen Rahmen halten, und dann sehe ich gemeinsam mit Geschäftsführer Lars Lamadé, welche Transfers für uns möglich sind und welche leider nicht.

Am Sonntag empfangen die Löwen die HSG Wetzlar, die mit 15:5 Punkten auf Rang vier steht. Wetzlar kommt mit einer Erfolgsserie von 13:1 Punkten in die SAP-Arena, da kann man doch schon von einem Spitzenspiel reden?

Jacobsen: Absolut. Die HSG Wetzlar hat nicht nur die letzten fünf Spiele alle gewonnen, sie haben auch richtig stark gespielt. Angetrieben von einer bärenstarken 6:0-Abwehr und einem überragender Andreas Wolff im Tor. Obwohl die HSG viele namhafte Abgänge vor der Saison hatte, haben die Neuzugänge eigentlich alle eingeschlagen. Das spricht auch für die gute Arbeit meines Kollegen Kai Wandschneider.

Am 17. April dieses Jahres gelang den Mittelhessen in Wetzlar mit einem überragenden Ivano Balic die Sensation, als sie Ihr Team deutlich mit 31:27 schlugen. Das war eine Sternstunde des Wetzlarer Handballs und ein Tiefpunkt der Löwen. Wirkt so etwas am Sonntag nach?

Jacobsen: In Wetzlar ist es für keine Mannschaft der Liga einfach, zu bestehen. Das war sehr schmerzhaft für uns in der vergangenen Saison. Unser Heimspiel dagegen haben wir auch letzte Saison klar gewonnen, und auch am Wochenende zählen für uns nur die zwei Punkte, denn 22:0 klingt besser als 20:2 (lacht).

In der letzten Saison haben die Löwen bei vermeintlichen Außenseitern (Bergischer HC, Erlangen) entscheidende Punkte liegen gelassen. Jetzt spielt Ihre Mannschaft konstant auf hohem Niveau, sie gibt sich keine Blöße mehr. Wo liegt das Geheimnis dieses Wandels?

Jacobsen: Man sagt, man muss aus seinen Fehlern lernen. Und ich glaube, das tun wir. Wir spielen gut, wir haben viel Selbstvertrauen, haben den FC Barcelona geschlagen. Das gibt dir noch mal zusätzlich einen Schub, wenn der Saisonstart positiv verläuft. Auch haben die meisten Leute vor der Saison nur vom Duell Kiel gegen Flensburg gesprochen. Wir hatten Ruhe und haben uns nur auf uns konzentriert, das macht sich nun bezahlt. Innerhalb von nur wenigen Wochen sind wir plötzlich zum Topfavoriten auf den Titel geworden.

Am Sonntag ist „Familientag“ in der SAP-Arena, eine Aktion, die mehr Zuschauer zum Heimspiel gegen Wetzlar locken soll. Es ist zu erwarten, dass die Stimmung entsprechend groß sein wird. Wie sehr wird Ihr Team von der Unterstützung von den Rängen motiviert?

Jacobsen: Natürlich motiviert eine tolle Kulisse zu Hause zusätzlich. Wir haben gegen den THW Kiel gesehen, als die SAP-Arena ausverkauft war, welchen Bonus die Zuschauer ausmachen können. Wir haben ja leider nicht so viele Heimspiele am Wochenende, da unser Spielplan aufgrund der vielen Champions-League-Spiele wirklich übervoll ist. Da freut es mich wie meine Spieler, dass das Spiel gegen Wetzlar an einem Wochenende stattfindet und auch mehr Leute kommen. Das haben sich auch meine Spieler verdient.

Trainer-Kollegen lassen sich etwas einfallen, um der offensiven Deckung der Löwen zu entgehen wie zuletzt Alfred Gislason mit dem siebten Feldspieler schon beim ersten Angriff. Erwarten Sie auch bei Kai Wandschneider eine taktische Raffinesse?

Jacobsen: Wir werden auf alles vorbereitet sein. Denn auch unsere 6:0-Abwehr ist sehr gut, das musste auch Alfred erkennen, dessen Mannschaft nur 20 Tore gegen uns gemacht hat.

Die HSG Wetzlar wird als Überraschungsmannschaft und als Mannschaft der Stunde bezeichnet. Sehen Sie das genauso? Wie schätzen Sie das Leistungsvermögen des Gegners ein?

Jacobsen: Man weiß ja, was passieren kann, wenn sich eine Mannschaft in einen Rausch spielt. Und ich glaube, bei der HSG passt es zurzeit einfach. Sie spielen eine sehr gute 6:0-Abwehr, haben mit Wolff einen der besten Torhüter der Liga, dazu kämpft jeder für den anderen. Ich traue der HSG wirklich zu, lange um die Europapokalplätze mitzuspielen, wenn sich kein Leistungsträger verletzt.

Am Sonntag spielen Sie gegen Wetzlar, am Mittwoch im Pokal gegen die Füchse Berlin und am nächsten Samstag reisen Sie zum HSV Hamburg. Um die Belastungen aus den Spielen der Champions League, der Bundesliga und des Pokals möglichst gering zu halten, lassen Sie Ihren Spielerkader rotieren. Können wir am Sonntag erneut erwarten, dass Sie etablierte Spieler auf der Bank lassen?

Jacobsen: Ich habe diese Saison wirklich viel gewechselt, aber ich hatte das vor der Runde auch angekündigt. Mit Mads Mensah und Harald Reinkind haben wir zwei Rückraumspieler, die nun in ihre zweite Saison in der Bundesliga gehen. Da erwarte ich natürlich eine Steigerung, und beide haben mir gezeigt, dass ich mich voll auf sie verlassen kann. Deswegen fällt es mir auch leicht zu wechseln, weil wirklich jeder zurzeit seine Leistung bringt bei uns.

Bislang hatten die Löwen zuhause nur einmal ein Problem mit Wetzlar, als sie in der Saison 2012/13 nur knapp 31:29 gewannen. In den letzten Jahren gab es deutliche Siege in Mannheim. Die Statistik spricht für die Löwen, die Heimstärke und die blütenweiße Weste als Tabellenführer. Wird die Begegnung ein Selbstläufer?

Jacobsen: Auf keinen Fall. Ich glaube, es gibt überhaupt keine Selbstläufer in der Bundesliga. Den Trainer müssen Sie mir zeigen, der ein Bundesligaspiel als Selbstläufer sieht. Wenn du nicht 100 Prozent gibst, dann kriegst du Probleme, egal gegen wen. Das haben wir schon oft erfahren müssen, und ich hoffe, meine Spieler erinnern sich immer daran zurück. Natürlich wird die Vorbereitung relativ kurz sein, wir kommen erst am Freitag aus Schweden zurück, mir bleiben eigentlich nur zwei Trainingseinheiten zur Vorbereitung auf die HSG. Fragen Sie mal Kai Wandschneider, wie lange der sich auf uns vorbereiten kann.

Von Ulrich G. Monz