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Höhepunkt und Bodenhaftung (RNZ)
Mannheim/Kronau. Die Bilder hätten kaum unterschiedlicher ausfallen können. Im Gang Richtung Mixed Zone standen sie: Auf der einen Seite Löwen-Manager Thorsten Storm, den Flaschenhals eines Mineralwassers im Mund, auf der anderen Seite die beiden HSV-Protagonisten Martin Schwalb, inzwischen Präsident und Geschäftsführer, und Hauptsponsor Andreas Rudolph, mit stoischer Miene und verschränkten Armen. Und als mit Krzystof Lijewski (28) ausgerechnet ein langjähriger Hamburger zum vorentscheidenden 31:27 exakt 2:17 Minuten vor dem Schlusspfiff für die „Raubkatzen“ einnetzte, da gab’s kein Halten mehr. Storm riss spontan beide Arme in die Höhe, „nur“ 7.533 Zuschauer in der SAP Arena begannen siegesgewiss zu feiern und die zwei HSV-Bosse verließen kurze Zeit später fluchtartig das Halleninnere. Sie ahnten und wussten, was noch folgen sollte …
„29:33! Wirft der HSV schon den Titel weg?“, titelte die Hamburger Morgenpost in ihrer Donnerstagausgabe und sieht den HSV-Spielern die Meisterschale aus den Händen gleiten. Vielleicht ist eine solche Einschätzung etwas voreilig, denn noch stehen für die Topteams aus Kiel, Mannheim, Berlin und Hamburg 31 Spieltage bevor. Freilich schrillen bei den letzte Saison überragenden Hanseaten bereits die Alarmglocken. Binnen vier Tagen setzte es gegen die Füchse (25:26) und nunmehr bei den Löwen zwei schmerzliche Niederlagen. „Das ist ein Fehlstart“, redete HSV-Trainer Per Carlén Klartext, „wir müssen unser Selbstvertrauen wieder aufbauen.“ Für Handball-Hamburg war’s ein Stich mitten ins Herz.
Die Löwen hingegen hüpften vor lauter Freude im Kreis. Aus mehreren Gründen: Weil sie ihren besten Start in eine Bundesligarunde hinlegten, weil sie nach dem 14. April 2009 (34:33) endlich mal wieder über den HSV triumphieren konnten und weil sie vor allem eine fast makellose Teamleistung am Mittwochabend boten. „Wir sind geschlossen als Mannschaft aufgetreten. Das ist der Schlüssel“, sagte tags darauf Kreisläufer Robert Gunnarsson bei der Pressekonferenz im Kronauer Trainingszentrum. Natürlich strahlten Trainer Gudmundur Gudmundsson, Storm und Gunnarsson rundum Zufriedenheit aus, doch gleichzeitig waren sie nach diesem Höhepunkt allesamt bemüht, die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Die Löwen sind eben aus der Vergangenheit gebrannte Kinder, häufig wurden sie auf unsanfte Art und Weise, gerade gegen die Underdogs der Liga, in die Realität zurückgeholt. Insofern ist die nächste Pflichtaufgabe am Samstag (19 Uhr) beim bis dato sieglosen TSV Hannover-Burgdorf gleich ein geeigneter Gradmesser dafür, wie es heuer um die Verlässlichkeit der Gelbhemden bestellt ist.
„Gudmi“ klärte gestern über wesentliche Ziele und Inhalte der täglichen Arbeit mit dem Team auf. Man habe sich gemeinsam vorgenommen, konstant zu spielen, weniger Gegentore zu kassieren und über Alternativen in der Abwehrformation zu verfügen. Vorgestern wurden die Hamburger dank einer variablen 5:1-Deckung geknackt. „Uwe hat überragend gespielt“, lobte „Gudmi“ seinen Kapitän Uwe Gensheimer als vorgezogenen Mann. Im Verbund mit Goran Stojanovic und „Siebenmeterkiller“ Henning Fritz bekam man die Carlén-Sieben meist in den Griff.
Zeit, den süßen Sieg zu genießen, bleibt den Löwen kaum. Morgen in Hannover, am Dienstag im DHB-Pokal in Elsenfeld (gegen Großwallstadt) und am 24. September (15 Uhr) gegen den THW Kiel – der Handball-Marathon geht weiter. „Gudmi“ hat angesichts der Dauerbelastung in einem Punkt leichte Bedenken: „Wir haben einen kleinen Kader, da darf halt nichts mehr passieren.“ Storm ergänzend: „Wir bewegen uns auf dünnem Eis. Goran kam direkt aus dem Gymnastikraum aufs Feld und hatte keine Vorbereitung. Und am Kreis haben wir derzeit Robert. Wie soll das ein Körper aushalten?“ Zumal völlig unklar ist, wie lange Bjarte Myrhol ausfallen wird. Beim Norweger wurde im August Hodenkrebs diagnostiziert, Operation und eine erste Chemotherapie sollen soweit gut verlaufen sein. Team und Myrhol stehen in ständigem Kontakt. Wenn der Kreisläufer in den Kreis der Löwen zurückkehrt, wäre dies das allerschönste Bild.
Von Joachim Klähn