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In kurzer Hose gleich auf Temperatur

Mannheim. Das Handball-Fieber hatte ihn sofort gepackt. Chrischa Hannawald war wieder infiziert und in Sekundenschnelle auf Betriebstemperatur. Er dirigierte. Er gestikulierte. Er applaudierte. Dabei stand der Vulkan auf zwei Beinen zunächst gar nicht auf der Platte. Im Heimspiel der Rhein-Neckar Löwen gegen die MT Melsungen (40:25) nahm der Neuzugang erst einmal auf der Bank Platz. Doch auch am Spielfeldrand war er wieder eingetaucht in seine eigene Welt. Der Mann mit dem Tunnelblick konzentrierte sich auf das Wesentliche, schaute sich die Würfe des Gegners an und beriet seinen Kollegen Slawomir Szmal. Keine Frage: Niemand konnte den Eindruck gewinnen, dass Hannawald seit knapp einem Jahr kein Bundesligaspiel mehr bestritten hatte.

„Den Ball am liebsten gefressen“

„Es war ein wunderschönes Gefühl, in diese Arena einzulaufen und dann noch so toll begrüßt zu werden“, meinte der Rückkehrer, der seine Karriere eigentlich schon beendet hatte, sich dann aber doch noch einmal zu einem Comeback überreden ließ. Als die Löwen auf der Suche nach einem Ersatz für den verletzten Henning Fritz waren und bei Hannawald anfragten, musste der Ex-Nationaltorwart nicht lange überlegen. „Es ist eine Ehre für mich, bei diesem Klub zu spielen.“

Nach 55 Minuten und 36 Sekunden hatte Trainer Gudmundur Gudmundsson ein Einsehen und schickte den Neuzugang gegen Melsungen aufs Feld. Die Fans begrüßten den gelernten Schlosser mit lautem Applaus – und Hannawald zeigte sich als Gentleman mit guten Manieren. Er verbeugte sich leicht, ganz so, als wolle er sagen: „Hier bin ich, um zu helfen – vielen Dank für den herzlichen Empfang.“

Zum großen Glück fehlte dem Torwart nur noch eine Parade – doch die blieb ihm versagt. „Ich hätte den Ball am liebsten gefressen“, meinte der Vize-Europameister von 2002, der natürlich mit seinem Markenzeichen zwischen den Pfosten stand: einer kurzen Torwarthose. „Ich habe früher Fußball gespielt und eine kurze Hose getragen. Das habe ich auch beim Handball gemacht. Bei den Männern hatte man mir das zwischenzeitlich verboten, aber dann habe ich doch wieder mein eigenes Ding durchgezogen“, erklärte der charismatische Schlussmann, wie es vor vielen Jahren zu seinem für Handball-Torhüter ungewöhnlichen Beinkleid gekommen war.

Vielleicht klappt es für den Charakterkopf heute (19 Uhr) im Heimspiel der Löwen gegen den TV Großwallstadt mit dem ersten gehaltenen Ball. Hannawald wird im Duell mit den Mainfranken wieder auf der Suche nach dem Knopf im Kopf sein. Findet er ihn, bekommt sein Ex-Klub ein Problem – immer vorausgesetzt, dass Trainer Gudmundsson dem „Oldie“ erneut ein paar Minuten gönnt. Gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber würde der Schlussmann fraglos nur allzu gerne wieder fliegen und fangen, Reaktionen und Reflexe zeigen.

„Ich habe beim TVG noch viele Freunde“, sagte Hannawald, der sich bei den Löwen bereits bestens eingelebt hat. Ein neues Quartier hat er bei Oliver Roggisch gefunden, den er aus gemeinsamen Essener Zeiten sehr gut kennt. „Ich fühle mich hier schon heimisch“, gestand der Familienvater, der in der Kronauer Trainingshalle viele ehemalige Weggefährten begrüßte: „Mit Ólafur Stefánsson habe ich vor 15 Jahren in Wuppertal gespielt, Michael Müller kenne ich aus meiner Zeit in Großwallstadt und in Essen stand ich mit Gudjon Valur Sigurdsson in einer Mannschaft. Wir hatten uns alle ein wenig aus den Augen verloren. Deshalb bin ich glücklich, dass ich zurückkommen durfte.“

Mit dem zurzeit verletzten Löwen-Kapitän Sigurdsson wird Hannawald aber wohl noch ein ernstes Wörtchen reden. „Das alte Schlitzohr hat mir meine Rückennummer 22 weggenommen“, scherzte der Torwart, bei dem nun die 77 auf dem Trikot steht: „Das ist das Geburtsjahr meiner Frau. Ich will mich bei ihr bedanken, dass sie meinem Comeback zugestimmt hat.“

Einige Zeit wird Familie Hannawald noch auf den Papa verzichten müssen. Mitte November rechnen die Badener mit der Rückkehr von Fritz. Bis dahin zählen die Gelbhemden auf ihren Neuzugang, der nur eines im Sinn hat: Handball, Löwen, Siege – und natürlich kurze Hosen.

Von Marc Stevermüer

 06.11.2010