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Jacobsens Angriff auf die alte Liebe (MM)

Jetzt ist sie wirklich da, die große Chance auf die Meisterschaft.

Jetzt ist sie wirklich da, die große Chance auf die Meisterschaft. „So haben wir uns das gewünscht“, nimmt Nikolaj Jacobsen das spannende Titelrennen in der Handball-Bundesliga mit viel Lockerheit und ohne große Aufregung zur Kenntnis – obwohl er als Trainer der Rhein-Neckar Löwen selbst mittendrin im Kampf um die Schale steckt. Am Sonntag (17.15 Uhr/Sport1) tritt seine Mannschaft beim punktgleichen THW Kiel an.

Die Norddeutschen, sie sind der Dauerrivale des Vize-Meisters und noch dazu Jacobsens Ex-Verein. Sechs Jahre trug er das Trikot des Ostseeklubs, sein letztes Spiel für den Branchenführer bestritt er 2004 ausgerechnet gegen die SG Kronau/Östringen, den Vorgängerverein der Löwen. Großartig sei er damals verabschiedet worden, berichtet der einstige Linksaußen, der mit den „Zebras“ drei Mal Meister wurde und den anhaltende Knieprobleme zum Abschied zwangen. „Ich hatte eine schöne Zeit beim THW, auch wenn man das bei den Löwen nicht gerne hört“, flachst der ehemalige Kieler Publikumsliebling, der kurz nach seinem Dienstantritt bei den Badenern mit einem Lachen sagte: „Es ist immer noch ein komisches Gefühl, plötzlich auf Niederlagen des THW zu hoffen.“

Keine Frage: Seine Gelassenheit und sein Humor stecken an, abseits des Handballs ist Jacobsen so gar nicht der brodelnde Vulkan, den man von der Seitenlinie kennt. Dann ist er impulsiv und emotional, taucht ab in seine eigene Taktik-Welt, sucht im Analyse-Modus nach Lösungen und Umstellungen. All das wird am Sonntag gefragt sein.

„Wie alle wissen, ist es nicht gerade einfach, in Kiel zu gewinnen“, sagt der 43-Jährige und holt tief Luft: „Aber wir sind dazu in der Lage.“ 2013 fügten die Löwen dem THW die erste Heim-Niederlage im Pokal seit 23 Jahren zu, in dieser Saison standen sich die beiden besten deutschen Handball-Teams schon zwei Mal gegenüber. Das Bundesliga-Hinspiel in Mannheim gewannen die Norddeutschen 29:28, im Pokal triumphierten die Badener Anfang März 29:26. „Eine unglückliche Niederlage, ein verdienter Sieg“, deutet der Trainer an, dass er seine Mannschaft auf Augenhöhe mit dem finanzstarken Dauer-Sieger und Alles-Gewinner sieht.

Dabei wollten die Kieler genau das vor dieser Saison vermeiden, weshalb sie sich gleich mit drei Stars verstärkten: Steffen Weinhold, Domagoj Duvnjak und Joan Cañellas. „Dass wir wie der THW bei sechs Minuspunkten stehen, ist eine herausragende Leistung. Dazu kann ich meiner Mannschaft nur gratulieren“, sagt Jacobsen und verweist auf den kleinen Umbruch im vergangenen Sommer: „Das Team ist jünger geworden, es kamen einige neue Spieler und mit mir ein anderer Trainer. Niemand konnte erwarten, dass es so gut laufen wird.“ Tut es aber.

Die Teilnahme an der Champions League ist den Löwen fast nicht mehr zu nehmen, das Final Four im Pokal haben sie erreicht. Doch der ehrgeizige Jacobsen will mehr – es bietet sich schließlich die unerwartete Chance auf den ganz großen Coup. „Wir müssen nicht Meister werden, aber wir sind punktgleich mit Kiel. Um den Titel zu holen, müssen wir jetzt jedes Spiel gewinnen. Das ist brutal, aber wir greifen an“, kündigt der Coach an und hofft, dass die Badener bis zum Saisonende von personellen Ausfällen verschont bleiben: „Wir sind auf unsere Stammformation angewiesen. Wenn sich da einer verletzt, macht sich das bemerkbar.“

Der enorme Kräfteverschleiß wurde in dieser Saison besonders in der Champions League deutlich. „Da haben wir nicht unser Niveau erreicht“, stellt Kapitän Uwe Gensheimer klar. Es könnte allerdings von Vorteil sein, dass die Löwen im Saisonendspurt nicht mehr in der Königsklasse dabei sind. „In der jetzigen Phase tut natürlich jede Pause gut“, sagt Kim Ekdahl du Rietz, räumt aber ein: „Das Aus gegen Szeged schmerzt dennoch.“

Kurios: Wären die Löwen in der Champions League doch noch ins Viertelfinale eingezogen, hätte der Gegner pikanterweise wieder Kiel geheißen. „Ich bin ganz froh, nicht drei Mal in einem Monat gegen den THW zu spielen“, meint Jacobsen, der 2012 seine Trainerkarriere begann und gleich in seinem ersten Jahr mit Aalborg sensationell dänischer Meister wurde. Er hätte gewiss nichts dagegen, wenn sich 2015 Geschichte wiederholt.

Von Marc Stevermüer