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Kollektiver Kollaps: Die Löwen wieder mal unköniglich

Heidelberg. Es waren Bilder, an die man sich mittlerweile gewöhnt hat. Bilder, die den Rhein-Neckar Löwen in dieser Saison irgendwie anhaften, alles überschatten. Bei den Kurpfälzern ist es ein schmaler Grat zwischen Genialität und Schlafmützigkeit, zwischen Kontrolle und Chaos. Die einzige Konstante ist die eigene Inkonstanz. Klingt abgedroschen, ist aber so. Frustrierend ist das – auch für die Spieler: „Katastrophe, einfach enttäuschend, richtig ärgerlich“, der Tenor nach der 26:37-Niederlage beim HSV Hamburg fiel verbittert aus.

„Wehren kann man sich trotzdem“

In den Katakomben der Color Line Arena war Ratlosigkeit angesagt. Ein Zustand, der beim Trainer auch noch am Tag danach allgegenwärtig war. Ola Lindgren, 45, wirkte nachdenklich, suchte nach Gründen, als er gestern morgen am Hamburger Flughafen auf die Maschine nach Frankfurt wartete. „Klar hatten wir zuletzt ein knallhartes Programm, aber das lasse ich nicht als Entschuldigung für diesen Kollektiv-Kollaps gelten: Wehren kann man sich trotzdem“, analysierte der Schwede, brachte es ruhig und gelassen auf den Punkt. Doch das täuschte, tief ihn ihm drin brodelte es. Lindgren überlegte genau, was er sagte, holte wieder tief Luft, sprach langsam und überlegt. Er scheint die Nase allmählich voll zu haben, ärgert sich über so manchen gut bezahlten Löwen-Star. Lindgren verzweifelt an seinem Starensemble. Gerade Karol Bielecki, 28, der hochbegabte Rückraum-Kunstschütze, bereitet Kopfzerbrechen. Der baumlange Pole steht derzeit völlig neben seinen Schuhen.

Auf der Königsposition bringt er die Löwen nicht weiter. Seit der EM präsentiert er sich zahm wie ein Stubentiger, wie eine träge und behäbige Hauskatze. Wo ist sie geblieben, die grandiose Form, mit der er in der Hinrunde noch Angst und Schrecken verbreitete? Auch Löwen-Manager Thorsten Storm, 45, grübelt: „In seinem Spiel ist keine Konstanz erkennbar. Warum das so ist, ist eine gute Frage. Wir arbeiten sehr viel mit ihm.“ Vor allem im mentalen Bereich wird mit Bielecki trainiert. Meist übernimmt Kent-Harry Andersson, der Sportliche Berater der Löwen, diesen Part. Sich allerdings nur auf Bielecki einzuschießen, ist laut Storm der falsche Ansatz: „Wenn wir insgesamt weiter kommen wollen, muss auch so manch anderer Spieler mal langsam erwachsen werden.“

Eine klare Botschaft des Löwenchefs: Kein Wunder, denn das Saisonziel, sprich eine Platzierung unter den ersten drei Mannschaften der Liga, ist mittlerweile in ganz weite Ferne gerückt. Ein heikles und niederschmetterndes Thema. Storm weiß das. Er kann seine Enttäuschung kaum verbergen und gesteht: „Auf den aktuellen Tabellen-Dritten, die SG Flensbug-Handewitt, haben wir momentan schon fünf Punkte Rückstand. Das wird sehr schwer…“

Es muss aber trotzdem irgendwie klappen, schließlich ist die erneute Champions-League-Qualifikation das große Ziel und wird beinahe schon als Selbstverständlichkeit angesehen. Mut macht diesbezüglich die letzte Saison. Auch hier befand man sich eigentlich schon im Hintertreffen, drehte den Spieß im Endspurt dann aber nochmals um.

Eine Wiederholung ist erwünscht.

Storm gibt die Marschroute vor: „Wir müssen uns nun in jedem Spiel 60 Minuten voll einbringen und kämpfen. Eine seriöse Vorbereitung im Kopf eines jeden Einzelnen gehört da unbedingt dazu. Die Spieler müssen realisieren, was los ist!“ Und falls es nicht klappt? Was ist, wenn die Löwen am Saisonende die Qualifikation für die Königsklasse verpassen? Dann könnte es vor allem für einen eng werden, der bei ausbleibendem Erfolg eigentlich immer das schwächste Glied ist: den Trainer. Lindgren stünde möglicherweise vor dem Aus. Doch das

ist noch Zukunftsmusik. Was zählt, ist das hier und jetzt. Storm sagt: „Ich bin kein Schulterklopfer nach großen Siegen und werde auch nicht über unseren Trainer herfallen, wenn wir uns so eine Klatsche wie in Hamburg abholen!“ Aber auch: „Am Ende der Serie werden wir uns an unseren gesteckten Zielen messen lassen müssen. Das betrifft die Trainer, die Spieler, das Umfeld und mich.“

Die Chance zur Rehabilitation hat das Rudel am Sonntag. Um 15 Uhr geht es in Veszprèm wieder um Champions-League-Punkte. Lindgren erwartet einen ganz heißen Tanz: „Das ist eine der heimstärksten Mannschaften in ganz Europa.“ Na dann…

Von Daniel Hund

 19.02.2010