Veröffentlichung:

Leere Kassen, volles Haus (Die Welt)

Trotz Etatkürzung führen die Löwen die Handball-Bundesliga an und spielen Mittwoch vor 13.200 Fans gegen Kiel

Den sportlichen Feiertag erlebt der Beste vom Krankenhausbett aus. Dienstagmorgen ist Uwe Gensheimer nach seinem Achillessehnenriss in der Rennbahnklinik bei Basel operiert worden, er wird seiner Mannschaft nicht nur im Spitzenspiel Mittwochabend gegen den THW Kiel fehlen (20.15 Uhr, Sport1), sondern rund sechs Monate pausieren müssen. Unpassender hätte der Zeitpunkt aus Sicht der Rhein-Neckar Löwen kaum sein können.

Kapitän Gensheimer (26) war es zuvorderst zu verdanken, dass der vor Saisonbeginn bereits totgesagte Handballklub aus Mannheim in dieser Spielzeit eine unfassbare Auferstehung feierte: 13 Spiele, 13 Siege, zu denen der Weltklasse-Linkaußen sagenhafte 96 Tore besteuerte. Nun muss ein Neuling auf seiner Position ran: der gelernte Rückraumspieler Kevin Bitz (19). Weil bei den Löwen das Geld knapp ist, hatten sie darauf verzichten müssen, die Außenpositionen – wie sonst in der Bundesliga üblich – doppelt zu besetzen. „Wenn einer der besten Spieler der Welt ausfällt, wiegt das natürlich schwer“, sagt Manager Thorsten Storm. „Aber trotzdem sehe ich uns nicht chancenlos gegen Kiel.“

Storm, seit 2007 bei den Löwen, hat sich längst daran gewöhnt, dass Jammern in sportlich misslichen Situationen nicht unbedingt erfolgsfördernd ist. Vor Saisonbeginn hatte er mit hinnehmen müssen, dass sich im dänischen Unternehmer Jesper Nielsen der Hauptsponsor des Vereins zurückzog und ein Loch von zwei Millionen Euro im Etat hinterließ. Für viele Handballklubs in Deutschlands bester Liga wäre das das Todesurteil gewesen. Doch Storm gelang es, teure Spieler wie die Polen Karol Bielecki und Krzysztof Lijewski zu verkaufen und preisgünstigere Alternativen wie den Schweden Kim Ekdahl Du Rietz oder den wurfgewaltigen Isländer Alexander Petersson zu verpflichten.

Dass es dann gleich so gut klappt und die Rhein-Neckar Löwen nach 13 Spieltagen sogar die Tabelle mit einem Punkt Vorsprung vor Kiel anführen, hat aber selbst den routinierten Manager überrascht. „Wir haben zwar trotz der Etatkürzung ein gutes Team beisammen, aber mit diesem Start war sicher nicht zu rechnen“, sagt Storm. „Wenn wir es schaffen, diese junge Mannschaft zusammenzuhalten, werden wir noch viel Freude haben.“

Gerade das war in den vergangenen, finanziell weitaus unproblematischeren Zeiten nicht immer der Fall in Mannheim gewesen. Stets hatten die Löwen zu den Mitfavoriten auf den Gewinn der Meisterschaft gezählt, stets hatten sie den hohen Erwartungen nicht standhalten können. Auch diesmal dürfte es zwar kaum gelingen, auf lange Sicht mit dem Branchenführer aus Kiel mitzuhalten, aber immerhin hat der Auftakt gezeigt, dass manch findiger Transfer hilft, den finanziellen Nachteil gegenüber dem THW auszugleichen.

Schon zu Saisonbeginn habe er gemerkt, dass seine Mannschaft Großes zu leisten imstande sei, sagt Storm. „Stimmung, Energie und Leidenschaft waren plötzlich ganz anders, es war ein richtiger Teamspirit zu spüren“, so der Manager. „Die Leute haben Bock darauf, gemeinsam etwas zu schaffen.“

Das goutieren auch die Zuschauer. Gegen Kiel ist die SAP-Arena ausverkauft. Weit mehr als die zur Verfügung stehenden 13.200 Tickets hätte der Klub veräußern können, so stark war die Nachfrage.

„Das ist natürlich ein riesengroßer Vorteil für uns. Wir sind sehr dankbar, dass uns so viele Fans unterstützen werden“, sagt Trainer Gudmundur Gudmundsson. Der Isländer wähnt seine Mannschaft nach dem mehr als gelungenen Start in die Saison durchaus chancenreich im vermeintlich ungleichen Duell. „Wir haben in dieser Saison bislang sehr gut gespielt und wollen nun natürlich auch versuchen, die Kieler zu ärgern“, sagt er. „Wenn du gegen den THW gewinnen willst, muss einfach alles passen.“

Einen wie Gensheimer hätte er deswegen nur allzu gern dabei gehabt, weil der Linksaußen mit seinen Wurfvarianten selbst für einen Gegner wie Kiel kaum auszurechnen ist und den Unterschied in einem engen Spiel ausmachen kann. Immerhin ließ der verletzte Kapitän seine Fans via Facebook in bester Paulchen-Panther-Manier wissen, dass er schon jetzt ans Comeback denkt: „Heute ist nicht alle Tage – ich komm wieder, keine Frage.“

Von Jens Bierschwale