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Löwen im Gefühlschaos (BNN)

Trotz des Punktgewinns in Kiel nach einer Aufholjagd ist nun der THW dem Titel nah

Kein Freudentanz, aber auch kein Zusammensacken: Gestürzt in ein Gefühlschaos, standen die Spieler der Rhein-Neckar Löwen in den Sekunden nach dem Ende eines überaus intensiven Handballspiels mit vorentscheidender Bedeutung um die deutsche Meisterschaft einfach nur herum.

Die Herausforderer wussten nicht so recht, wie sie mit dem 23:23 (10:11) bei Titelverteidiger THW Kiel im vermeintlichen Finale um die Schale umgehen sollten. Sie hatten dem Favoriten in dessen Bastion einen Punkt abgetrotzt, durften sich wegen der Aufholjagd nach einem Vier-Tore-Rückstand zehn Minuten vor Schluss einerseits als Sieger empfinden und standen andererseits dennoch als gefühlte Verlierer da. „Fakt ist, dass der THW den Vorteil des besseren Torverhältnisses hat“, stellte Kapitän Uwe Gensheimer nach den hoch emotionalen 60 Minuten nüchtern fest.
Wie der Tabellenführer weist der Verfolger sieben Minuspunkte auf, liegt aber in der Tordifferenz um 47 Treffer zurück. Dieses Defizit können die Löwen in ihren restlichen sieben Saisonspielen nicht mehr wettmachen. Sie sind auf nicht sehr wahrscheinliche Punktverluste der Kieler angewiesen, wenn sie das Déjà-vu von Platz zwei aufgrund der schlechteren Torbilanz in der Endabrechnung vermeiden wollen. „Wir haben es nicht mehr in der eigenen Hand, Meister zu werden“, gab Gensheimer zu.
Der Linksaußen, der dreimal in aussichtsreicher Position seinen Meister fand in dem starken Kieler Ersatz-Ersatz-Torhüter Kim Sonne-Hansen, konnte dem Teilerfolg wenig Gutes abgewinnen. Positiver als der achtfache Torschütze wertete Andy Schmid das Ergebnis im Sport1-Interview: „Vor dem Spiel hätte ich ein Unentschieden nicht unterschrieben. Aber wir waren in der zweiten Halbzeit mit vier Toren hinten. Von daher können wir mit diesem Punkt leben. Es bleibt halt eng.“
Nach 50 Minuten schien dieser von starken Abwehrreihen geprägte Showdown zugunsten der Gastgeber entschieden – und damit auch die Meisterschaft. Nach einer Schwächephase der Badener, die beim 9:8 das einzige Mal geführt und in der 41. Minute beim 15:15 wieder ausgeglichen hatten, lag der THW 21:17 vorn. Zudem war für Alexander Petersson wegen einer Schulterblessur das Spiel beendet. Doch dann schwangen sich die Gäste, gestützt auf eine Weltklasseleistung des künftigen Kielers Niklas Landin im Tor, zu einer beeindruckenden Willensleistung auf.
„Mit großer Moral haben wir uns wieder herangekämpft“, sagte Trainer Nikolaj Jacobsen. Mit drei Toren am Stück sorgte Gensheimer in der 59. Minute für den 22:22-Ausgleich. Steffen Weinhold brachte den THW wieder in Führung, ehe Harald Reinkind zum 23:23 traf. Im Gegenzug scheiterte Weinhold an Landin, den Abpraller setzte Aron Palmarsson an die Unterkante der Latte, von der der Ball zurück ins Feld sprang.
„Kiel hatte in der letzten Aktion noch einen freien Wurf, also bin ich zufrieden mit dem einen Punkt“, sagte Jacobsen. Sein Kieler Kollege Alfred Gislason war enttäuscht: „Wir hätten das Spiel gewinnen müssen.“ Die Hatz geht damit weiter. Am Mittwoch ist der THW beim heimstarken SC Magdeburg gefordert. Die Löwen treffen bereits heute (19 Uhr) im Heimspiel auf die MT Melsungen.
Von Reinhard Sogl