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Löwen – konsequent am Ziel vorbei (MM)

Mannheim. Hängende Köpfe, geplatzte Träume: Handball-Bundesligist Rhein-Neckar Löwen hat seinem Ruf als Klub der verpassten Ziele auch in dieser Saison wieder alle Ehre gemacht. Selbst wenn wider Erwarten doch noch die Qualifikation für die Champions League geschafft werden sollte, lief vieles erneut nicht nach Plan. Was sind die Gründe, was tun die verantwortlichen Personen, wie sieht die Zukunft aus? Eine Bestandsaufnahme.

Der Manager: Thorsten Storm trat 2007 an. Er lockte in Jesper Nielsen einen Geldgeber nach Mannheim, räumte diesem aber zu viel Macht ein. Die Folge: Eine zusammengewürfelte Mannschaft, die in fünf Jahren von vier Trainern betreut wurde und keinen Titel gewann. Hohe Ziele wurden auch nach Nielsens Rückzug formuliert, in dieser Saison gab Storm öffentlich die Champions-League-Qualifikation und den Sieg im EHF-Cup aus. Das kam beim Team und Trainer Gudmundur Gudmundsson nicht gut an. Andererseits: Wenn nicht mit diesem erstklassigen Kader im zweitklassigen EHF-Cup, wann wollen die Badener dann einen Titel gewinnen? „Die nächste Saison wird entscheidend für die Zukunft der Löwen sein. Wir haben eine Klasse-Mannschaft“, sagt Storm und kündigt eine „neue Zeit mit realistischen Zielen“ an. Aus der finanziellen Not heraus haben die Löwen tatsächlich die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Ein erneutes Scheitern können sie sich nicht erlauben.

Der Trainer: Gudmundur Gudmundsson ist jetzt fast zwei Jahre da und bis 2015 vertraglich gebunden. Ihm wird die Arbeit mit der Mannschaft, die er nur bedingt zusammengestellt hat, durch die ständige Unruhe erschwert. Aber: Auch ihm ist es nur phasenweise gelungen, für mehr Konstanz zu sorgen und aus einer Ansammlung von Stars eine Einheit zu formen. Nach wie vor haben die Löwen Probleme in der Abwehr und mit dem Überzahlspiel. Laut Ligastatistik produziert keine Mannschaft mehr technische Fehler (104) als die Gelbhemden. Zudem nutzt der Trainer selten die Breite des Kaders, was zu einer hohen Belastung der Leistungsträger führt und zu fehlender Spielpraxis und mangelhaftem Selbstvertrauen der Reservisten – wenn diese doch einmal gebraucht werden. In Tomas Svensson sitzt ein Assistent auf der Bank, der dem Trainer helfen soll. Doch weder der Schwede noch Gudmundsson kam gegen Gummersbach auf die Idee, den Torwart zu wechseln. Nicht zum ersten Mal in dieser Saison. Fest steht: Die nächste Spielzeit wird für den Coach zu einer entscheidenden. Erneut müssen viele neue Spieler eingebaut werden. Gudmundsson fehlt wegen seiner Aufgabe als isländischer Nationaltrainer bei den Olympischen Spielen jedoch mehrere Wochen in der Saisonvorbereitung. Eine ungünstige Konstellation.

Die Mannschaft: Es gibt nur wenige, die fast in jedem Spiel ihre Leistung bringen. Karol Bielecki zeigte in seinen viereinhalb Jahren bei den Löwen zu wenig, Børge Lund kam auch aufgrund von Verletzungen nie richtig in Mannheim an, Krzysztof Lijewski rief sein Potenzial nur selten ab. Dieses Trio kostete viel Geld, der Gegenwert stimmte nicht immer. Sie allein sind dennoch nicht für die erneut enttäuschende Saison verantwortlich. Letztendlich leisteten sich die Gelbhemden in den entscheidenden Phasen zu viele individuelle Aussetzer, es fehlte die letzte Gier. Sind das etwa die Folgen des Verwöhnprogramms, das Jesper Nielsen den Spielern viele Jahre ermöglichte? Klar ist: Patrick Groetzki, Uwe Gensheimer und Bjarte Myrhol, die sich immer zerreißen, werden sich die Entwicklung genau anschauen. Diese drei Leistungsträger sind für alle Topklubs interessant.

Die Fans: Bei vielen Spielen gleicht die SAP Arena aufgrund der Stille einem Betongrab, der Zuschauerschnitt ist rückläufig. Das liegt nicht nur an den unglücklichen Anwurfzeiten. Vielmehr ist es das Publikum leid, stets enttäuscht zu werden. Oft rufen die Löwen nicht 60 Minuten lang ihr Potenzial ab, verschenken dadurch im schlimmsten Fall Punkte. Und: Siege allein machen die Fans noch lange nicht glücklich, die Anhänger wollen begeistert werden und haben ein feines Gespür. Sie merken: Bei den Löwen bekomme ich eher Dienst nach Vorschrift als ein zusätzliches Bonbon geboten, wenn der Sieg feststeht. Beispiele: Der 0:5-Lauf in den letzten Minuten gegen Lübbecke, die verlorenen zweiten Halbzeiten gegen Hüttenberg oder Großwallstadt. In Kiel wäre das undenkbar, Trainer Alfred Gislason würde ausflippen. Doch bei den Löwen gibt es keine Konsequenzen. Nach der Niederlage gegen Gummersbach sprach Gudmundsson davon, das freie Wochenende zu streichen. Komischerweise wurden Oliver Roggisch, Michael Müller und Lijewski dann beim Final Four in Hamburg gesichtet.

Von Marc Stevermüer