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Löwen wachen zu spät auf

Kiel. Es war das erste Gipfeltreffen in der noch jungen Handball-Bundesliga-Saison: Meister THW Kiel empfing die ambitionierten Rhein-Neckar Löwen. Und nach 60 Minuten war alles wie immer: Der Titelverteidiger jubelte, der Herausforderer aus dem Südwesten verließ enttäuscht die Ostseehalle. Die Löwen verloren gestern vor 10 250 Zuschauern mit 29:36 (11:18) gegen den Branchenprimus und mussten erneut leidvoll erfahren, dass der Sturz des seit Jahren übermächtigen THW auch in dieser Saison nicht ganz einfach wird. „Wir haben alles gegeben. Aber wenn man gegen diese starke Mannschaft gewinnen will, muss einfach alles passen“, meinte Bjarte Myrhol.

Kiel wackelt nur kurz

Kiel gab von Beginn an mächtig Gas und stellte die Löwen mit einer beweglichen und aggressiven Abwehr vor riesige Probleme. Immer wieder zwang der THW die Badener aus ungünstigen Positionen zum Torabschluss. Die Bälle wurden zwangsläufig eine leichte Beute für Torwart Thierry Omeyer, der sofort auf Betriebstemperatur war. Der Franzose entschärfte fast nebenbei noch ein paar Hundertprozentige. Keine Frage: Das badische Ensemble muss an seiner Chancenverwertung arbeiten, wenn es in dieser Saison etwas erreichen will. Die Kieler nutzten hingegen ihre Möglichkeiten und führten nach elf Minuten mit 6:1. Trainer Ola Lindgren nahm eine Auszeit und wechselte im Rückraum und am Kreis munter durch.
Spielerisch lief es trotz der Umstellungen nicht. Einzig Karol Bielecki mit seinen Gewaltwürfen aus großer Distanz hielt die Gelbhemden im Spiel und führte sie zusammen mit dem gut aufgelegten Torwart Slawomir Szmal auf 7:9 (19.) heran. Die Kieler wackelten kurz, schüttelten sich aber und zogen wieder das Tempo an. Der THW-Express lief auf Hochtouren – und die Löcher in der Abwehr der Badener wurden immer größer. Fast schon leichtfüßig galoppierten die Zebras den Löwen zum 18:11-Pausenstand davon.
„Der Rückstand beim Seitenwechsel war schon ziemlich groß. Es ist dann schwer, das noch aufzuholen“, meinte Michael Müller. Der zweite Durchgang begann, wie der erste endete: Omeyer parierte zweimal gegen Carlos Prieto. Erst eine Viertelstunde vor Spielende wurden die Löwen wach. Sie erkämpften sich die Bälle in der Abwehr und waren beim 24:28 (49.) wieder dran. Es wurde spannend: Omeyer schwächelte plötzlich, für ihn kam Peter Gentzel. Und der verhinderte das 25:28, als er einen Siebenmeter von Uwe Gensheimer abwehrte. „Das war irgendwie typisch für uns. Wir haben die große Chance und nutzen sie nicht“, analysierte Müller. Anschließend stellte Kiel mit drei Treffern zum 31:25 (54.) die Weichen auf Sieg.
Den Badenern blieb am Ende nur die bittere Erkenntnis, dass ihnen noch ein, zwei Weltklassespieler fehlen, um den THW ernsthaft zu gefährden. Und deshalb wird schon jetzt der Markt für die kommende Saison sondiert – der Blick richtet sich dabei auf Skandinavier. Löwen-Gesellschafter Jesper Niesen verfolgte die Partie in Kiel aus einer Loge und verriet, dass die Namen Niklas Landin, Thomas Mogensen, Mikkel Hansen und Michael Knudsen in den Überlegungen der Gelbhemden eine Rolle spielen. Besonders im Fokus stehen nach Informationen dieser Zeitung Kreisläufer Knudsen und Spielmacher Mogensen. Die Arbeitsverträge der beiden Dänen laufen 2010 bei der SG Flensburg-Handewitt aus.

Von Marc Stevermüer