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Müllers neue Leichtigkeit

Zweieinhalb Jahre lang lief es für Michael Müller mehr schlecht als recht bei den Rhein-Neckar Löwen. Zum Saisonende verlässt er den Klub – und jetzt zeigt seine Formkurve stark nach oben.

Über einen Doppelgänger ist nichts bekannt, einen Zwillingsbruder hat er allerdings: Doch der wirft den Ball mit der rechten Hand und spielt in der Bundesliga für Wetzlar. Es ist also tatsächlich Michael Müller, der in diesen Wochen bei den Rhein-Neckar Löwen für Furore sorgt, zu einer echten Stütze, zu einem Torgaranten geworden ist. Genau jener Mann also, der in den vergangenen zweieinhalb Jahren oft eine unglückliche Figur abgab, in seinen wenigen Einsätzen übermotiviert und verkrampft wirkte. All das ist jetzt nicht mehr zu sehen: Der Linkshänder trumpft mit Ruhe und Souveränität auf, strahlt Sicherheit aus, übernimmt Verantwortung. Auch am Freitag war der 1,97-Meter-Mann eine der Schlüsselfiguren bei den Löwen für den 30:27-Sieg über den SC Magdeburg. Müller erzielte sechs Treffer und „weiß selbst nicht so genau, was momentan los ist“. Der Knoten bei ihm – so viel steht fest – ist definitiv geplatzt.

Als die meisten seiner Klubkameraden im Januar bei der EM weilten, arbeitete der gebürtige Würzburger hart und oft auch einsam an seiner Form. Trainer Gudmundur Gudmundsson, der bei den kontinentalen Titelkämpfen die isländische Auswahl betreute, hatte den wenigen Daheimgebliebenen ein üppiges Trainingsprogramm aufgebrummt. Das schmerzte – und zwar in doppelter Hinsicht. Denn bei Müller floss nicht nur der Schweiß in Strömen, er musste sich die Spiele der Nationalmannschaft auch noch im Fernsehen anschauen. Vor nicht allzu langer Zeit gehörte er selbst zur DHB-Auswahl – und irgendwann möchte er wieder das schwarz-rot-goldene Trikot tragen. Deshalb nahm er sein Trainingsschicksal auch klaglos an.

„Ich habe viel gearbeitet“, blickt der stets gut gelaunte und niemals um einen flotten Spruch verlegene Rückraumspieler zurück. Aus Laufeinheiten, Koordinationsübungen und Krafttraining bestand das Programm, auch Medizinbälle kamen zum Einsatz. All das zahlt sich jetzt aus – sehr zur Freude von Gudmundsson: „Michael war in der Saison 2010/2011 viel verletzt und hat mit seinem Kreuzbandriss eine schwierige Zeit durchgemacht. Seine Defizite haben wir im Sommer gesehen und analysiert. Das zahlt sich jetzt aus.“ An vielen kleinen Dingen, berichtet der Isländer, habe er mit Müller gearbeitet: „Wir haben Körpertäuschungen trainiert, an seinem Wurf und seinem Bewegungsablauf gefeilt. Michael war sehr lernwillig, er hat das alles angenommen und mehr als andere gearbeitet. Er hilft der Mannschaft jetzt sehr.“

Ein wenig Wehmut überkommt da den Trainer, wenn er daran denkt, dass er genau diesen Spieler in der nächsten Saison nicht mehr in seinem Aufgebot finden wird. Müller folgt seinem Bruder Philipp zur HSG Wetzlar. „Leider stand der Wechsel schon im Herbst fest“, bedauert Gudmundsson. Haben sich die Löwen etwa verzockt? Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass ein Spieler bei den Gelbhemden nach verkündetem Abschied aufblüht. „Michael hat sich selbst entschieden, den Klub zu verlassen. Wir haben ihn nicht weggeschickt, sondern gefragt, wie seine Zukunft aussieht. Er wollte irgendwo hingehen, wo er die Nummer eins ist und mehr Einsatzzeit bekommt. Vielleicht hat er sich zu früh entschieden, denn jetzt spielt Michael ja viel bei uns“, meint Manager Thorsten Storm.

In der Tat stand Müllers Wechsel sehr früh fest, andererseits war dies aus seiner Sicht zur damaligen Zeit auch der einzige logische Schritt. Der Linkshänder stand wenig auf der Platte, und selbst wenn er gute Leistungen zeigte, wie zum Beispiel bei seinen sieben Toren gegen Kiel, saß der 27-Jährige in der nächsten Partie wieder auf der Bank. „Ich spüre jetzt das Vertrauen des Trainers“, sagt der ehemalige Großwallstädter, was im Umkehrschluss bedeutet, dass er es vorher nicht spürte: „Ich kann jetzt auch mal einen oder zwei Fehler machen, ohne dass ich gleich wieder ausgewechselt werde.“

Nachdem der lange Zeit unantastbare Krzysztof Lijewski auf der halbrechten Position gesetzt war und dann verletzt von der EM zurückkehrte, schlug Müllers große Stunde. „Ja, ich habe davon profitiert“, gesteht der Linkshänder: „Aber ich habe meine Chance auch genutzt.“ Ein Satz wie dieser steht für das neue Selbstvertrauen des Torgaranten, der seinen Abschied zum Saisonende dennoch nicht bereut: „Ich stehe zu meiner Entscheidung, freue mich auf Wetzlar und meinen Bruder.“ Den Löwen hingegen wird er fehlen: als Sporter, als Mensch und als Spaßvogel.

Zweieinhalb Jahre lang lief es für Michael Müller mehr schlecht als recht bei den Rhein-Neckar Löwen. Zum Saisonende verlässt er den Klub – und jetzt zeigt seine Formkurve stark nach oben.

Von Marc Stevermüer

 11.03.2012