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Myrhols schwierige Mission (MM)

Mannheim. Schlimme Wochen liegen hinter ihm. Dramatische Tage des Leidens, der Hoffnung, des Bangens. Bjarte Myrhol fühlte sich schlapp, ausgelaugt. Einfach müde. Die Chemotherapie belastete den Kreisläufer der Rhein-Neckar Löwen. Physisch – und vor allem auch psychisch. Doch nun geht es ihm besser, in der vergangenen Woche bekam der Norweger die letzte Spritze. „Jetzt fängt der Weg zurück an“, sagt der sympathische 29-Jährige und stellt klar: „Ich habe keine Lust mehr auf Krankenhäuser.“

Der gebürtige Osloer weiß, dass er die ersten Schritte Richtung große Handball-Bühne mit Bravour gemeistert hat. Und der Löwen-Star hofft, dass er das Schlimmste hinter sich hat. Im August war bei Myrhol, diesem lebenslustigen und vorbildlichen Sportsmann, Hodenkrebs diagnostiziert worden. Aus heiterem Himmel traf ihn die Krankheit, das Kraftpaket musste sich plötzlich Sorgen machen. Um seine Karriere – und erst recht um seine Gesundheit.

„Einen Schritt nach dem anderen“

Mit einer Chemotherapie in zwei Zyklen von jeweils drei Wochen behandelte man den Kreisläufer. „Momentan geht es mir gut“, berichtet der Rechtshänder, der vorerst keine großen Pläne schmiedet und sich der Tatsache bewusst ist, dass er in den nächsten Wochen nicht mit Bundesliga-Einsätzen rechnen kann: „Meine Ausdauer ist auf dem niedrigsten Niveau.“

An eine Rückkehr ins komplette Mannschaftstraining ist daher noch nicht zu denken, wenngleich der Nationalspieler sporadisch an den Übungseinheiten teilnimmt. Seine Mission lautet: Kraftraum statt Klinik, Ball statt Bett. „Endlich kann ich wieder das tun, was ich am meisten liebe: Handball spielen. Nun mache ich einen Schritt nach dem anderen. Wenn ich müde werde, lege ich eine Pause ein“, setzt sich der Norweger nicht unter Druck, sondern freut sich über Kleinigkeiten: „Im Training habe ich ein Tor gemacht. Ich wusste gar nicht, dass es so ein gutes Gefühl sein kann, ein Tor im Training zu erzielen.“

Wann er sein Comeback feiern wird, ist augenblicklich vollkommen offen. „Ich will und werde zurückkommen. Aber es gibt keinen Zeitplan“, widerspricht der 29-Jährige Spekulationen, er könne bereits im Januar bei der EM wieder für sein Heimatland auflaufen: „Erst einmal möchte ich bei den Löwen zwei Minuten spielen, dann vier Minuten, dann sechs Minuten. So kann ich der Mannschaft besser helfen, als wenn ich nur auf dem Sofa sitze. Aber bis ich wieder ein Leistungsträger bin, wird es noch eine Weile dauern.“

Bewundernswert ehrlich und offen spricht Myrhol über seine Leidenszeit. Er hat kein Problem damit, Fragen zu beantworten. Auf seiner Internetseite informierte er seine Fans in den vergangenen Wochen regelmäßig über seinen Gesundheitszustand und sein Gefühlsleben in dieser schweren Zeit. Der Klub half ihm, seine Freundin Charlotte half ihm, seine Familie half ihm. Ertragen musste der ehemalige Nordhorner die Nebenwirkungen der Therapie jedoch alleine.

„Nach dem ersten Zyklus ging es mir nicht so gut. Es war nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich wusste, dass es schwer werden würde, am Anfang war ich bettlägerig“, erinnert sich Myrhol an die heftigen Folgen der Therapie: Müdigkeit und Übelkeit. „Ich fühlte mich schlapp, fast ohne Kraft. Ungefähr so, als ob jemand das Ladegerät für meinen Motor rausgenommen hat. Auf den zweiten Zyklus war ich dann besser vorbereitet“, blickt der Norweger auf die schlimmen Wochen zurück, in denen vom sonst gewohnten Terminstress nichts zu spüren war. Myrhol langweilte sich hin und wieder, musste geduldig sein, schaute Fernsehen: Handball, Fußball, Rad-WM. „Genug Sport, um Charlotte verrückt zu machen.“ Oder er stand früh morgens auf und spazierte bei Sonnenaufgang durch die Weinberge: „Das kann ich nur empfehlen.“

Daumen drücken als Zuschauer

Zu seiner Genesung beigetragen haben dürften die letzten Auftritte der Löwen allerdings nicht. Beim unerwarteten Punktverlust gegen Melsungen war Myrhol in der Halle und wurde von den Fans vor der Begegnung mit lautstarkem Beifall begrüßt. „Das war ein wunderschönes Erlebnis“, sagt der Kreisläufer, „aber es tat auch weh, weil ich nicht spielen konnte.“ Und so musste er hinter der Bank leiden, mit ansehen, wie seine Kollegen einen sicher geglaubten Sieg aus der Hand gaben.

Vor dem schweren Auswärtsspiel am Freitag (19.45 Uhr) beim SC Magdeburg stehen die Badener gewaltig unter Druck. „Diese Partie ist die perfekte Herausforderung“, sagt der 29-Jährige. An seinen Worten und an seiner Stimme merkt man, dass er am liebsten selbst auf der Platte stehen würde. Aber er wird in Magdeburg nicht spielen. Und auch nicht in der nächsten Woche. Für ihn gibt es Wichtigeres: Gesundheit. Und deshalb bleibt ihm momentan nichts anderes übrig, als den Kollegen gut zuzureden. Sein Erfolgsrezept: „Wir müssen zusammenhalten und wieder aufstehen.“ Wer sollte das besser wissen als Bjarte Myrhol?

Von Marc Stevermüer