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Neue Herausforderungen

Bjarte Myrhol mag Abenteuer

Das heiße Sommerwetter kam Bjarte Myrhol in den zurückliegenden Wochen ziemlich gelegen. Und das, obwohl der Norweger mit seinem neuen Klub mitten in der Vorbereitung auf die Saison steckte. Denn wenn Coach Ola Lindgren seinen Cracks ein paar freie Stunden zwischen zwei anstrengenden Einheiten gewährte, entspannte der Kreisläufer gerne im Freien. „Dort ist meine Lieblingsposition“, sagt der 27-Jährige und zeigt auf die Sonnenliege in seinem Garten.

Mit geschlossenen Augen die Seele baumeln lassen, während die Sonnenstrahlen seinen Körper wärmen – das ist so richtig nach dem Geschmack des 1,92-Meter-Mannes, der morgen mit den Badenern auf den TuS N-Lübbecke trifft (19 Uhr, SAP ARENA). Dem ersten Auftritt in der Bundesliga fiebert der Norweger schon entgegen: „Da wollen wir einen guten Start hinlegen und die Fans begeistern.“

Bjarte Myrhol hat schnell eine neue Heimat gefunden, nachdem klar war, dass er seine Sachen bei der HSG Nordhorn packen und zu den Rhein-Neckar Löwen wechseln würde. Die Wege, die ihn zu seinem schicken Häuschen in Rauenberg führten, waren kurz. Schließlich wohnte dort zuvor Jan Filip, der ehemalige Rechtsaußen der Badener. Mit „Honza“ hatte Myrhol in Nordhorn zusammengespielt und sich bei dem ehemaligen Teamkollegen ohnehin im Vorfeld schlau gemacht, ob sich ein Transfer ins Badische lohnen würde. „Jan hat mir nur positive Dinge berichtet, und auch Goggi hat mir geraten, zu den Löwen zu kommen“, berichtet Myrhol.

Als sich abzeichnete, dass „Honza“ Filip den Klub in Richtung Schweiz verlassen würde, lag es nahe, dass der Norweger in dessen Haus einziehen würde. Schließlich passte die Immobilie beinahe zu 100 Prozent in das Anforderungsprofil des Kreisläufers. In einem Neubaugebiet in Rauenberg kann Myrhol von seinem kleinen, aber gemütlichen Garten die Weinberge sehen. Außerdem sorgt ein nahegelegener Wasserturm für Gemütlichkeit, und die war für Myrhol besonders wichtig. „Ich mag solche Orte wie Rauenberg, die nicht so groß sind“, sagt der Rechtshänder mit dem großen Kämpferherz. Bjarte Myrhol und seine Freundin Charlotte entgehen in ihrer Freizeit gerne dem Trubel einer großen Stadt. „Ich komme dort zwar auch klar, finde es auf dem Land aber einfach entspannter.“

Geboren und aufgewachsen ist Myrhol in Oslo, der norwegischen Hauptstadt. Mit knapp 600.000 Einwohnern ist die Stadt alles andere als klein und in seiner Jugend genoss er sogar die Vorzüge einer Metropole. „Schließlich gab es dort alles in der Nähe“, erinnert sich Bjarte zurück an die Zeit, als die Schule und der Sport sein Leben bestimmten. Mit zunehmendem Alter entwickelte sich Myrhol dann aber zum Verfechter der Ländlichkeit. Hinzu kam, dass ihn der Handball schließlich in Städte führte, die weitaus kleiner als Oslo sind.

Ein weiterer Vorteil neben der Beschaulichkeit in Rauenberg ist die Nachbarschaft. Direkt nebenan wohnt Siarhei Harbok, der Mannschaftskamerad. „Ab und zu bilden wir eine Fahrgemeinschaft ins Training“, sagt der Weißrusse, als er kurz einmal bei Bjarte vorbeischaut. Immer ist das allerdings nicht möglich, denn besonders Harbok hat oft noch andere Termine. Kein Wunder, schließlich ist Harbok seit acht Monaten Vater von Drillingen. „Im Moment hat er fünf Frauen im Haus“, lacht Myrhol und erzählt, dass zurzeit auch noch die Schwiegermutter von Siarhei zu Besuch ist. Es scheint, als wolle der Norweger nicht mit seinem Kollegen, der von einer weiblichen Übermacht dirigiert wird, tauschen.

Gemütlich und entspannt ist die neue Heimat von Bjarte Myrhol. Und seine Vorliebe für Sonne und Helligkeit findet sich im Mobiliar wieder. Eine große weiße Couch beherrscht das Wohnzimmer und ein weißes Bücherregal türmt sich daneben auf. Insgesamt ist das Haus von Bjarte Myrhol schnörkellos, aber durchdacht und gemütlich eingerichtet. Irgendwie norwegisch.

An der Treppe zum Obergeschoss hängen viele Bilder von Freunden und Verwandten aus Norwegen. „Ich möchte, dass der gesamte Treppenaufgang voll wird“, verrät Myrhol, der eine enge Bindung zu seinen Liebsten hat. Besonders Neffe Jonatan taucht immer wieder auf, auch auf einem Vierfach-Bild neben dem Bücherregal. „Natürlich mag ich ihn“, sagt der Kreisläufer und aus den Bildern wird offensichtlich, dass diese Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruht.

Bevor Bjarte über sein Handball-Leben und die eigene Karriere spricht, macht er sich erst noch einen Kaffee. Genauer gesagt: einen doppelten Espresso. „Das brauche ich“, sagt der 27-Jährige, der sich mit seinem eigenen italienischen Kaffee-Vollautomat zu einem Experten in Sachen Kaffeebohne entwickelt hat. „Ich koche auch ab und zu“, berichtet er außerdem und blickt dabei in der Küche umher. „Meistens gibt es dann Pasta oder irgendwas mit Putenfleisch“, achtet der Norweger darauf, sich gesund und sportlergerecht zu ernähren. Schließlich ist der eigene Körper das Kapital des kampfstarken Mannes am Kreis. Und mit ihm will er künftig noch einige Erfolge mit den Rhein-Neckar Löwen feiern.

Angefangen hat alles mit einer Entscheidung zwischen Fuß- und Handball. Bis zum Alter von 17 Jahren betrieb Bjarte beide Sportarten. Während er bei den Fußballern im Tor stand, versuchte er sich bei den Handballern als Spielgestalter. „Allerdings hat mir die Technik gefehlt, um mich im Rückraum durchzusetzen“, räumt der 27-Jährige ein, der so an den Kreis wechselte und dort seine Stärken deutlich besser einbringen konnte. Die Entscheidung pro Hand- und gegen Fußball fiel am Ende leicht, denn mit dem Ball in der Hand stellte sich Myrhol einfach viel besser an.

Davon waren auch die Verantwortlichen von Sandefjord TIF überzeugt, die den damals 20-Jährigen verpflichteten. „Das ist eine Stadt mit etwa 40.000 Einwohnern, die mir sofort gefallen hat“, sagt Myrhol, der aber nicht nur wegen dem angenehmen Lebensstil nach Sandefjord zog. Immerhin konnte er so bei der zu dieser Zeit stärksten Mannschaft Norwegens spielen und sich weiterentwickeln. „Das war für mich schon immer der wichtigste Punkt. Ich möchte mich entwickeln“, erklärt der 27-Jährige.

Bei seiner ersten (Halb-)Profistation gelang ihm dies so gut, dass er schnell Klubs aus dem Ausland auf sich aufmerksam machte. Obwohl Bjarte nebenher eine Ausbildung zum Sportlehrer machte und zeitweise in einem Elektronik-Geschäft arbeitete, stimmten die Leistungen auf dem Parkett, so dass es bald Anfragen aus dem Ausland gab.

Es war fast wie ein Schritt in eine neue Welt, als Myrhol mit seiner Freundin Charlotte im Sommer 2005 seine sieben Sachen packte und den Umzugswagen nach Veszprém dirigierte. Der erste Wechsel ins Ausland führte ihn ausgerechnet in das Land mit der wohl kompliziertesten Sprache Europas. Hinzu kam, dass in Ungarn das Englische nicht so verbreitet ist wie in Norwegen oder Deutschland. „Es war ein kleines Abenteuer“, sagt der Kreisläufer rückblickend. Allerdings eines, das sich gelohnt hat. „Ich habe mich in diesen zwölf Monaten sehr stark weiterentwickelt, vor allem persönlich“, ist Myrhol überzeugt.

Dabei ging es holprig los. Im Trainingslager vor dem Saisonstart teilte er sein Zimmer mit Carlos Pérez, einem gebürtigen Kubaner, der schon viele Jahre in Ungarn Handball spielte und inzwischen auch die ungarische Staatsbürgerschaft besaß. Das Problem: Pérez sprach kein Wort Englisch. „Nicht einmal yes oder no“, berichtet Myrhol und da der Norweger weder ungarisch noch spanisch beherrschte, schwiegen sich die Teamkameraden auf ihrem Zimmer zehn Tage lang an.

„Das war nicht einfach“, erinnert sich der Norweger, der sich ungeachtet der Anfangsschwierigkeiten in seiner neuen Mannschaft schnell zurecht fand. „Die ungarischen Begriffe für den Handball hatte ich nach zwei Monaten drauf und konnte mich deshalb auf dem Feld verständigen.“ Sportlich lief es deshalb auch gut, der junge Norweger bekam viel Spielzeit und der KC Veszprém wurde überlegener Ungarischer Meister und schrammte nur hauchdünn an den Finalspielen in der Champions League vorbei. „Wir haben gegen Portland San Antonio nach zwei Spielen mit einem Tor verloren“, ärgert er sich noch heute über das knappe Aus. In San Antonio spielte damals noch Superstar Ivano Balić.

Das Abenteuer Ungarn endete schließlich aber doch nach einem Jahr, denn in dem Team standen drei Kreisläufer und einer musste den Klub verlassen. Und als die Anfrage aus Nordhorn kam, musste Myrhol nicht lange überlegen, denn die HSG war schließlich eine gute Adresse in der Bundesliga – der stärk-sten Liga der Welt.

„Ich habe mich dort gleich heimisch gefühlt“, beschreibt Myrhol die ersten Wochen in der „Grafschaft Bad Bentheim“. Nach der Erfahrung mit den vielen neuen Eindrücken in Veszprém kam es ihm ganz gelegen, bei der HSG auf einige Skandinavier zu treffen. Mit Børge Lund war sogar ein norwegischer Landsmann im Kader. „Das war angenehm, schließlich konnte ich zu dem Zeitpunkt auch noch kein deutsch.“

Atmosphärisch war Myrhol also richtig gelandet, und auch sportlich lief es bei den Niedersachsen rund. Sogar einen Titel holte der Norweger mit den Nordhornern, im Mai 2008 freute sich die gesamte Region über den Gewinn des EHF-Pokals. In den Finalspielen gegen den FC Kopenhagen steuerte er insgesamt vier Treffer bei, ohne die es gegen die Dänen am Ende nicht gereicht hätte. „Das war eine tolle Feier danach“, schwärmt der 27-Jährige, der in den folgenden Monaten aber auch negative Erfahrungen in Nordhorn machen musste. Die Insolvenz des Klubs kostete den Kreisläufer Nerven und führte schließlich zum Wechsel zu den Rhein-Neckar Löwen.

„Ich möchte mit den Löwen auch Titel gewinnen“, hat sich Myrhol vorgenommen, seine Serie fortzusetzen. Immerhin holte er bei allen Profi-Stationen mit seinen Klubs mindestens einen Pokal. „Es ist egal, welcher das ist“, lächelt Bjarte bei der Frage, welchen „Pott“ er am Ende der Spielzeit nach oben strecken möchte.

Der Anfang in der neuen Mannschaft gestaltet sich allerdings schwierig. „Als Kreisläufer hat man es als Neuzugang besonders schwer“, sagt Myrhol. Schließlich dauere es lange, ehe die Feinabstimmung mit den Teamkollegen gefunden sei. „Das hat auch in Nordhorn gedauert“, erinnert sich der Norweger, der sich auf die neue Herausforderung bei einem deutschen Spitzenverein freut: „Wir müssen die Rolle des Favoriten annehmen. Und es ist spannend, wie wir diese Aufgabe meistern.“ Es gelte eben, immer zu zeigen, dass die Löwen das bessere Team stellen.

Seine Gedanken weichen dann aber schon wieder von der Zukunft zurück in die Gegenwart, schließlich steht am Nachmittag noch eine Trainingseinheit auf dem Programm. Und darauf muss sich der 27-Jährige noch vorbereiten.

Zu seinem Pech ist seine Freundin Charlotte im Augenblick in Norwegen, wo sie einen Teil ihrer Ausbildung zur Spa-Therapeutin absolviert. Wenn Charlotte zuhause ist, „muss“ sich Bjarte nämlich öfters als Testperson zur Verfügung stellen. Und ein paar Wohlfühl-Massagen mit Kräuteröl und entspannender Musik könnte der Kraftprotz am Kreis gerade in der Vorbereitungszeit gut gebrauchen. Er hat extra eine Massageliege besorgt, die im Obergeschoss in einem Extra-Zimmer aufgebaut ist. Es dauert allerdings noch ein paar Tage, ehe Charlotte nach Hause kommt. Solange muss die Sommersonne zur Entspannung reichen.