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„Niemand rechnet mit uns“

Heidelberg. Im Hinspiel war Nikola Karabatic ein Mitläufer, kein Matchwinner. Unauffällig spielte der Weltstar des HB Montpellier, war einer unter vielen. Aber vor allem einer hinter einem: Luka, sein eigener Bruder, stahl ihm die Show. Der kleine Karabatic, der erst vor rund vier Jahren professionell mit dem Handball begann – zuvor hatte er Tennis gespielt – wirbelte am Kreis, riss riesige Löcher. Traf und traf. Sechs Mal. Im Fallen, im Sprung, im Würgegriff. „Karabatic-Senior“, die Rückraum-Granate, brachte es hingegen gerade mal auf zwei mickrige Törchen. Lichtgestalten kennt man eigentlich anders. Besser, entscheidender, präziser. So wie – wenn man den Bogen zum Fußball spannt – Lionel Messi vom FC Barcelona. Der Edeltechniker mit dem Zauberfuß erlegte Real Madrid am Mittwochabend, quasi im Alleingang. Große Momente in einem großen Spiel waren das.

Nikola Karabatic hatte das in Mannheim auch vor, schaffte es aber nicht. „Niko“ wurde abgeschirmt, kalt gestellt. „Den hatten wir im Griff“, analysiert Löwen-Trainer Gudmundur Gudmundsson, „insbesondere vor der Pause.“ Ja, die Pause, sie war vielleicht so etwas wie der Knackpunkt bei der 27:29-Heimpleite, der Anfang vom Ende im Hinspiel. „Gudmi“, ein Taktiker durch und durch, nickt: „Ich weiß auch nicht, was da auf einmal los war, plötzlich war die individuelle Fehlerquote einfach viel zu hoch.“ Schwamm drüber, abgerechnet wird erst morgen, nach dem Rückspiel (17 Uhr). Dann liegt das badische Handball-Flaggschiff an der französischen Mittelmeerküste vor Anker. Dort soll der Einzug ins Kölner Final Four perfekt gemacht werden. „Ein 31:29 aus unserer Sicht würde uns ja reichen“, rechnet Manager Thorsten Storm hoch.

Doch die Vorzeichen sind nicht gut, richtig schlecht sogar. Das Lazarett hat sich nicht gelichtet. Im Gegenteil: Es ist sogar größer geworden. Nun hat es auch Michael Müller erwischt. Immer wieder Müller: Vor kurzem war es noch das Kreuzband, nun ist es der Außenmeniskus. Ein Einriss. „Ausgerechnet Michael“, seufzt Gudmundsson, „er war auf einem sehr guten Weg, wurde besser und besser.“ Die Saison ist für ihn beendet. Bei Bjarte Myrhol sieht es nicht ganz so schlimm aus. „Vielleicht“, sagt Gudmundsson, „vielleicht wird er uns beim Final Four in Hamburg wieder zur Verfügung stehen.“ Das ist schön, heißt aber auch, dass der so wichtige Kreismann in Montpellier fehlen wird. Torhüter Henning Fritz ist hingegen zurück, Börge Lund möglicherweise: „Ich hoffe, dass Börge zumindest in der Abwehr etwas Entlastung bringen kann.“

Sorgen über Sorgen, doch aufgeben ist für Gudmundsson ein Fremdwort: „Die Anderen müssen die Ausfälle kompensieren und das schaffen sie.“ Hört sich selbstbewusst an, so wie man den Isländer eben kennt. Doch diesmal klang seine Stimme anders, leicht verunsichert. Einbildung? Nein. Gudmundsson, der Ehrliche: „Wir sind gut vorbereitet, doch das Verletzungspech ist einfach hammerhart.“

Ein Nachteil, aber auch ein Vorteil: „Jetzt“, pustet der Trainer tief durch, „jetzt rechnet erst recht niemand mehr mit uns.“ Die Löwen als Außenseiter! Das gefällt Gudmundsson, dem Handball-Fuchs, wiederum. Er schmunzelt verschmitzt: „Nun dürfen sich nur nicht noch mehr verletzten.“

Von Daniel Hund

 29.04.2011