Veröffentlichung:

Peinlichkeit kommt gut an (RP)

Der Speyerer Marvin Gerdon (19) spielt für Handball-Bundesliga-Tabellenführer Rhein-Neckar-Löwen

Der gebürtige Speyerer Marvin Gerdon legt bei Bundesliga-Tabellenführer Rhein-Neckar-Löwen eine ungewöhnliche Laufbahn hin und hat sogar schon beim berühmten FC Barcelona gespielt.

Eigentlich hat Marvin Gerdon sein Handy während seinen Vorlesungen im Sportmanagement-Studium in Heidelberg abgeschaltet. Auch deswegen, um nicht die Ausführungen seiner Dozenten mit dem schrillen Klingelton zu stören. Ohnehin sei es eine Peinlichkeit, wenn das Gebimmel bei einem der Studierenden im Hörsaal losgeht.

Aber diese Peinlichkeit zog für den 19 Jahre alten Linkshänder etwas ganz Positives nach sich. Immerhin sprach auf der anderen Seite der Leitung Weltmeister Oliver Roggisch, jetziger Teammanager der Rhein-Neckar Löwen.

Und der einstige Kapitän der deutschen Nationalmannschaft wartete offensichtlich mit einer wichtigen Botschaft für Gerdon auf, weshalb er auch abnahm. Beim zweiten Satz Roggischs brachte er schon seinen Mund vor Staunen kaum noch zu.

Roggisch berief nach Absprache mit Trainer Nikolai Jacobsen Gerdon, dessen Eltern in Böhl-Iggelheim leben, direkt in den Kader für die Champions-League-Partie beim polnischen Spitzenclub KS Kielce. Es war an diesem Tag genau 9.33 Uhr.

Um 11 Uhr sollte er sich direkt am Sportzentrum der Löwen in Kronau einfinden, um nach dem anschließenden Training mit der Mannschaft von Frankfurt nach Warschau zu fliegen. Gerdon rückte nach dem krankheitsbedingten Ausfall von Marius Steinhauser kurzfristig in den Kader.

Auch wenn der 19 Jahre alte Linkshänder in Polen nicht zum Einsatz auf dem Spielfeld kam, wiederholte sich das Prozedere nur zwei Wochen später erneut. Diesmal nicht mit einem Anruf während der Vorlesung, sondern nach dem Training am Donnerstagabend erhielt er die Zusage für seinen zweiten Einsatz beim aktuellen Titelträger der Königsklasse, dem FC Barcelona. „Das ist das Größte, was einem als junger Sportler nur passieren konnte“, meinte Gerdon im RHEINPFALZ-Gespräch.

Direkt danach rief er seine Freundin Rina Schmitt an. Die Speyererin, die das Trikot des Handball-Pfalzligisten HSG Dudenhofen-Schifferstadt trägt und die Tochter von Manfred Schmitt, dem Trainer des Fußball-Verbandsligameisters TuS Mechtersheim ist, war ebenfalls hellauf begeistert und wünschte ihrem Liebling auf dem Weg in die katalanische Hauptstadt alles Gute.

So ging es am nächsten Tag erneut über Frankfurt nach Barcelona. Schon beim Gang in den legendären Palau Blaugrana bekam Gerdon, der 2012 aus der Jugend der TSG Friesenheim ins Internat der Junglöwen nach Kronau zog, Gänsehaut.

„Da war ich schon sehr aufgeregt“, erzählt der gebürtige Speyerer, der wegen seines Studiums jetzt in Heidelberg wohnt. Die Hoffnung, doch einige Minuten auf dem Spielfeld mitzuwirken, lebte. Und als ihm Nikolai Jacobsen in der 22. Minute einen Klaps auf die Schulter gab und ihm seinen Einsatz signalisierte, ging für ihn ein Traum in Erfüllung.

„Das war einfach genial. Noch wichtiger war, dass ich auch keinen Fehler gemacht habe“, erzählt der Blondschopf mit dem Dreitage-Bart. Der Moment bleibt unvergesslich, auch deswegen, weil der Linkshänder, der seit dieser Saison im Bundesliga-Kader steht, weder in der „stärksten Liga der Welt“ noch im Pokal zuvor zum Einsatz kam.

Seine Spielwiese ist die Dritte Liga Süd, wo er immer mehr im rechten Rückraum zu einem Führungsspieler reift – eine Position, die ihm nicht gerade auf den Leib geschnitten ist. „Ich fühle mich auf Rechtsaußen deutlich wohler“, sagt Gerdon.

Er nimmt es aber wie es kommt. „Ich kann dabei nur lernen.“ Das soll sich in der kommenden Spielzeit ändern, da die Junglöwen diese Position mit der Verpflichtung eines weiteren Spielers den Wünschen Gerdons entgegenkommen. Daraufhin verlängerte er kürzlich seinen Vertrag vorzeitig bis zum 30. Juni 2018 – auch mit dem Wunsch, in der kommenden Spielzeit den einen oder anderen Einsatz in der Bundesliga zu bekommen.

Von Jochen Willner