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Physios nerven nur ab und zu

Kassel. Es gibt Tore, die werden frenetisch gefeiert, weil sie einen Sieg bedeuten, weil sie einen Titel bringen. Doch diese Art von Treffer benötigten die Rhein-Neckar Löwen in der zweiten Halbzeit bei der MT Melsungen nicht mehr. Sie führten deutlich, hatten das Spiel entschieden – und trotzdem wurden Jubel und Applaus nach fast 55 Minuten noch einmal ganz laut. Michael Müller hatte getroffen, seine sechsmonatige Leidenszeit war zu Ende. Nach seiner unnachahmlichen Körpertäuschung war der Weg zum Tor frei. Der 26-Jährige fackelte nicht lange, mit Energie und Entschlossenheit donnerte er den Ball in die Maschen und reckte die Siegerfaust. Er strahlte – und wohl selten wurde ein Treffer zum 34:22 so sehr gefeiert. Die Kollegen jubelten mit ihm. Sie gönnten ihm das Erfolgserlebnis von Herzen, fieberten mit und spürten seine Erleichterung. Auf einen Schlag waren die frustrierenden Monate in der Reha vergessen.

Bad in der Menge genossen

Sekunden nach Spielende avancierte der Linkshänder zum gefragten Mann. Die Kinder strömten nach dem 37:28-Sieg der Löwen aufs Spielfeld, baten um Autogramme. Müller nahm sich Zeit, erfüllte jeden Wunsch, genoss den Augenblick, das Bad in der Menge. Endlich war er wieder mittendrin. „Ich bin einfach nur glücklich. Das ist der Wahnsinn. Nach sechs Monaten Reha wieder auf dem Feld zu stehen und zwei Tore zu machen, ist ein tolles Erlebnis“, gewährte der sympathische Rückraumspieler einen Einblick in seine Gefühlswelt, während Trainer Gudmundur Gudmundsson lobende Worte für seinen Rückkehrer fand: „Was er nach dieser langen Pause gezeigt hat, war sehr gut.“

Mitte September hatte sich Müller das Kreuzband gerissen, doch schon kurz nach der schockierenden Diagnose hatte der gebürtige Würzburger nur eines im Sinn: sein Comeback. Dafür arbeitete der Linkshänder hart, manchmal sogar verbissen. Und während die Kollegen auf Champions-League-Reisen waren, musste sich das Kraftpaket als Einzelkämpfer beweisen.

Nur langsam ging es voran, ab und zu wurde Müller in seinem Ehrgeiz gebremst. Das war zwar hin und wieder schwer zu verstehen, aber richtig für sein Knie. Geduld war gefragt. Eine Eigenschaft, die in der Regel nicht zu den Stärken eines Leistungssportlers gehört.

Der Rückraumspieler meisterte den steinigen Weg trotzdem. „Ich muss mich bei meinen Physiotherapeuten bedanken, mit denen ich zuletzt die meiste Zeit verbracht habe“, dachte der 26-Jährige in der Stunde der Rückkehr an Sascha Pander und Sven Raab, konnte sich aber einen lieb gemeinten Seitenhieb gegen das Duo nicht verkneifen. Schließlich ist der Halbrechte nie um einen flotten Spruch verlegen. „Die Physios hatten jeden Tag gute Laune und wollten mich damit anstecken. Aber wenn man verletzt ist, kann man nicht immer fröhlich sein. Das war manchmal ganz schön nervig“, meinte Müller und lachte herzhaft: „Aber trotzdem sage ich Danke.“

Keine Angst vor Rückschlag

Denn schließlich ist es gerade der medizinischen Abteilung zu verdanken, dass ihm seine Verletzung keine Sorgen mehr bereitet. Sogar die Angst vor einem Rückschlag ist gewichen. „Ich denke nicht mehr viel über das Knie nach“, sagte der Linkshänder, für den die Partie gegen Melsungen ein Neuanfang war. In seiner ersten Löwen-Saison wirkte er oft übermotiviert und verkrampft – doch damit soll jetzt Schluss sein: „Ich will mich nicht mehr zu sehr unter Druck setzen.“ Gelingt ihm das, hätte die Verletzung vielleicht doch noch etwas Gutes gehabt. Und wer weiß: Vielleicht wirft Müller morgen (19.30 Uhr) beim Topspiel in Kiel wieder heftig umjubelte Tore – dann könnten sie einen Sieg bedeuten.

Von Marc Stevermüer

 05.04.2011