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Reinkinds Raketen aus dem Rückraum (MM)

Norweger sorgt beim Löwen-Sieg in Montpellier für wichtige Tore aus der Distanz

MONTPELLIER. Kim Ekdahl du Rietz enterte nach getaner Arbeit erst einmal den VIP-Bereich. Wein und Bier hatten seine Mitspieler von den Rhein-Neckar Löwen bestellt, den eminent wichtigen 33:29 (18:4)-Sieg in der Champions League bei Montpellier AHB wollte der Handball-Bundesligist am späten Samstagabend zumindest ein bisschen feiern. Ekdahl du Rietz – aus seiner Zeit bei HBC Nantes der französischen Sprache mächtig – erfüllte den Wunsch seiner Kollegen, er kehrte mit Plastikbechern und Getränken zurück in die Kabine. Keine Frage: Vom deutschen Vize-Meister war eine Riesenlast abgefallen.

„Sieg im Schlüsselspiel“

„Wir standen unter Druck, dieser Sieg war richtig wichtig“, meinte ein glücklicher Andy Schmid, der von einem Erfolg in einem „Schlüsselspiel für die gesamte Champions-League-Saison“ sprach und auf der Mitte einmal mehr glänzend Regie geführt hatte. Immer wieder setzte der Schweizer seine Nebenleute in Szene, wovon in der Schlussviertelstunde besonders Harald Reinkind profitierte. Der junge Norweger mit Dynamit im linken Arm erzielte nach seiner Einwechslung vier blitzsaubere Treffer aus der Distanz. Montpellier verteidigte in dieser Phase extrem defensiv, weshalb der Neuzugang immer wieder ungestört hochsteigen und den Ball Richtung Tor feuern konnte.

„Wenn eine Abwehr so agiert, ist das gut für mich“, sagte Reinkind und lachte. Auch ihm war die Erleichterung deutlich anzusehen – und das nicht nur wegen des Sieges. Nachdem er im bisherigen Saisonverlauf nur wenig Einsatzzeit bekommen hatte, drückte der 22-Jährige der Partie in der Mittelmeer-Metropole seinen Stempel auf. „Es hat riesigen Spaß gemacht, auf der Platte zu stehen. Und dann ist es ja auch ganz gut für mich gelaufen.“

In der Tat: Das 1,97-Meter große Kraftpaket brachte mit seinen Qualitäten noch einmal einen ganz anderen Impuls in die durchgehend effektive (nur 15 Fehlwürfe) und vor allem variantenreiche Offensive. „Es ist unglaublich wichtig, einen Spieler wie Harald zu haben. Er steigt bei zehn Metern hoch und kann aus dieser Entfernung Tore werfen. Einen wie ihn haben wir sonst nicht im Kader. Ich hoffe, dass ihm dieser Auftritt Selbstvertrauen gibt“, lobte Schmid den Auftritt des Norwegers, ehe er noch einmal die Bedeutung von Reinkinds Qualitäten unterstrich: „Wenn wir ihn so in Szene setzen können, ist das eine andere Dimension im Angriff.“

Und so freuten sich alle mit dem Linkshänder, weil der sein Potenzial im Training praktisch täglich abruft, wie Teammanager Oliver Roggisch verriet. In Montpellier klappte es nun auch im Wettbewerb. „Dieses Spiel war wichtig für ihn“, meinte Kapitän Uwe Gensheimer: „Er hat uns extrem geholfen und ist ein Mann für die einfachen Tore.“

Mit 17 Debüt in der Königsklasse

Trainer Nikolaj Jacobsen hatte zuletzt immer wieder betont, dass er Reinkind langsam an die Bundesliga heranführen wolle und dass die Umstellung von der norwegischen Liga, die der Neuzugang selbst mit der Zweiten Bundesliga in Deutschland vergleicht, nicht ganz einfach sei. Nachdem der Halbrechte schon in Flensburg mit wichtigen Toren zur Wende im Spitzenspiel beigetragen hatte, scheint er nun den ersten Entwicklungsschritt gemacht zu haben.

„Die Spieler in der Bundesliga sind schneller, stärker und schlauer als in Norwegen“, beschreibt Reinkind den Unterschied. In Deutschland müsse man in jedem Spiel sehr gut vorbereitet sein und immer alles geben: „Wenn wir mal weniger als 100 Prozent abrufen, können wir gegen jeden Gegner verlieren.“

Das gilt allerdings auch für die „Hammergruppe C“ in der Champions League, in der es für die Löwen nun deutlich besser aussieht. Auch dank Reinkind, der als 17-Jähriger bereits mit seinem ehemaligen Verein Fyllingen in der Königsklasse am Ball war und gegen übermächtige Gegner wie Ciudad Real, HSV Hamburg und AG Kopenhagen teilweise deutliche Niederlagen kassierte. „Es hat Spaß gemacht, gegen diese vielen Weltklasseleute zu spielen, aber es war auch ein bisschen frustrierend, weil es schwierig war, Tore zu erzielen“, sagt der Norweger, der diese Erfahrungen allerdings auf keinen Fall missen will: „Ich habe gesehen, wie gut ich werden muss, um wieder in der Champions League zu spielen.“ Das tut er jetzt, noch dazu mit deutlich mehr Erfolg – und manchmal gibt es sogar Wein und Bier nach dem Spiel.

Von Marc Stevermüer