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Respektlose Spielverderber (MM)

Erst der Coup in Kiel, jetzt der Triumph in Flensburg – die Löwen gefallen sich in ihrer Rolle, denken aber nicht an den Titel

FLENSBURG. Marschmusik, historische Uniformen, bunte Wimpel – auf dem Berliner Platz im Zentrum Flensburgs herrschte gestern Feierstimmung, die Stadt gedachte des 150. Jahrestags der Schlacht von Oeversee aus dem deutsch-dänischen Krieg von 1864. Die Handball-Fans im hohen Norden waren dagegen alles andere als in Feierlaune, denn am Abend zuvor hatte Löwen-Kapitän Uwe Gensheimer die knappe Erfolgsmeldung einer weitaus weniger kriegerischen – aber ebenso erbitterten Auseinandersetzung – abgesetzt: „Yes – Flens-Arena eingenommen!“

Die Badener erwiesen sich nach dem Pokalsieg in Kiel im Dezember 2013 – was zuvor in 23 Jahren keiner Mannschaft gelang – dabei erneut als Spielverderber mit erfrischend wenig Respekt vor großen Serien. Der 27:23-Erfolg beim Tabellenzweiten setzte der Reihe von 72 Flensburger Bundesliga-Heimspielen ohne Niederlage ein jähes Ende – und damit wohl auch den Meisterschaftsträumen an der Förde. „Nach oben müssen wir jetzt erst einmal nicht mehr schauen“, meinte SG-Manager Dierk Schmäschke angesichts von nun vier Punkten Rückstand auf Primus Kiel in nüchternem Ton, während die Löwen den lauten Nachhall ihres Paukenschlags unmittelbar nach der EM-Pause sichtlich genossen.

„Wir waren jetzt mal dran“

„Ich bin kein Däne. Ich denke nicht an Gold“, verteilte etwa Kreisläufer Bjarte Myrhol mit Blick auf die zurückliegende Europameisterschaft bei einem dänischen TV-Team grinsend einen kleinen Seitenhieb, als er auf die Titelchancen der Löwen angesprochen wurde. Und auch Geschäftsführer Thorsten Storm blieb bescheiden. „Die Saison ist noch lang,“ wollte der Geschäftsführer an seiner alten Wirkungsstätte keine weiteren Spekulationen anstellen, weil zum großen Coup natürlich auch Ausrutscher des THW Kiel nötig wären. „Aber wir waren jetzt mal dran und haben uns jetzt für die kommenden Heimspiele eine tolle Ausgangsbasis geschaffen“, bedankte sich Storm auch mit Blick auf den Champions-League-Kracher gegen MKB Veszprém am Sonntag (19 Uhr/SAP Arena) für die Werbemaßnahme im hohen Norden, während sich Nationalspieler Patrick Groetzki auf die restliche Rückrunde freute: „Wir haben noch alle Mannschaften aus den Top Ten bei uns in der Halle. Diese Konstellation sollten wir nutzen.“

Vor allem mit Blick auf die bärenstarke Abwehrleistung in Flensburg dürfte den Löwen das nötige Selbstvertrauen für die kommenden Aufgaben geben. In der zweiten Halbzeit ließen die Badener nur noch zehn Gegentore zu. Und auch wenn Flensburger Leistungsträger wie Steffen Weinhold oder Holger Glandorf einen gebrauchten Tag erwischt hatten, kam – von den Außenspielern abgesehen – kein SG-Akteur gegen die Löwen-Defensive entscheidend zur Geltung.

Landins starker Endspurt

„Beton anrühren hat da wohl eine neue Dimension erreicht“, blickte Spielmacher Andy Schmid zufrieden zurück und hatte nicht zuletzt die Erfahrungen aus den beiden vergangenen Spielen in Flensburg im Hinterkopf: „Da waren wir auch jeweils bis eine Viertelstunde vor Schluss bei der Musik und haben noch verloren. Aber manchmal sind aller guten Dinge eben doch drei.“Und als die Löwen in der Schlussphase laut Rechtsaußen Groetzki „einige Matchbälle liegenließen“, war dann auch Keeper Niklas Landin endgültig zur Stelle.

„In dieser Phase hat er sechs von acht Bällen gehalten“, blickte Trainer Gudmundsson auf die spannenden letzten acht Minuten, als die Badener Flensburg noch ein paar Mal zu einem Comeback eingeladen hatten. Doch der Däne im Löwen-Tor hatte keinen Sinn für weiteren Nervenkitzel.

„Da hat er dann das Tor zugemacht“, beschrieb der enttäuschte SG-Coach Ljubomir Vranjes den starken Endspurt des Keepers. So hatte auch diese Schlacht von Flensburg ihren Turm, die bunten Wimpel flatterten danach allerdings in Gelb und Blau.

Von Marc Stevermüer