Veröffentlichung:

Schmerzen durch die großen Jungs (BNN)

Löwen verlieren gegen „ausgebufften“ THW Kiel / Neuzugänge beim Meister schon integriert

Mannheim. Mit hängendem Kopf trottete Uwe Gensheimer in die Kabine. Der Kapitän der Rhein-Neckar Löwen sah aus wie ein Bub auf dem Weg zu Mama, als er da einen roten Mini-Bollerwagen hinter sich her zog. Das Knabbergebäck in dem kleinen Karren war der Trostpreis für den besten und mit acht Toren treffsichersten Spieler der Nordbadener, derweil die großen Jungs vom THW Kiel in der Mannheimer SAP-Arena enthemmt den 29:28(11:12)-Sieg im Spitzenspiel der Handball-Bundesliga bejubelten, mit dem der deutsche Meister nach Punkten mit dem Tabellenführer gleichzog. Beide Mannschaften haben nun 18:4 Zähler auf dem Konto, die Löwen liegen nur noch aufgrund der besseren Tordifferenz vorn. Erinnerungen an das Saisonfinale wurden wach, als Kiel den Löwen den Titel wegen zwei Treffern mehr wegschnappte.

Von einer Weichenstellung im Meisterschaftsrennen wollte THW-Trainer Alfred Gislason aber nichts wissen. „Ich bin sehr froh, dass wir gewonnen haben. Aber es ist noch überhaupt nichts entschieden. Die Saison ist noch lang. Ich freue mich nur, dass es von Spiel zu Spiel besser läuft“, sagte Gislason.

Die Kieler tollten herum, als hätten sie den 20. Titel schon in der Tasche. Weil sie aber wussten, dass bis Juni noch viele Spiele gewonnen werden müssen, feierten sie erst einmal ausgelassen Weihnachten. Bis zum Christfest werde es dauern, ehe die Zugänge Domagoj Duvnjak, Joan Canellas (beide HSV) und Steffen Weinhold (Flensburg) integriert seien, hatte Gislason prognostiziert. „Oh du fröhliche“ aber konnten die Kieler schon am Samstag anstimmen. „Der größte Sieg ist, dass die drei neuen Spieler im Rückraum schon integriert sind. Normalerweise dauert es eine halbe Saison“, frohlockte Kreisläufer René Toft Hansen.

Dabei waren die Sterne für die Kieler nicht so günstig gestanden, den Löwen deren erste Heimniederlage seit März 2013 zuzufügen. Der THW musste nämlich auf die drei Asse Filip Jicha, Aron Palmarsson und Rasmus Lauge verzichten. Doch Not macht nicht nur erfinderisch, sondern bietet bisweilen auch Perspektiven. „Die Verletzungen sind die Chance für die Neuen. Sie mussten ins kalte Wasser springen und haben uns klasse geholfen“, sagte der starke Linksaußen Dominik Klein. Am besten schwamm sich Joan Canellas frei, der neunmal traf. Klein zog einen Vergleich zum Fußball-Rekordmeister: „Beim FC Bayern können die Neuzugänge auch nicht gleich das Spielsystem von Guardiola perfekt umsetzen.“ Der Unterschied zu den Münchnern: Zu Saisonbeginn hatte Kiel zweimal verloren.

Dass es für den THW in Mannheim nicht die dritte Niederlage setzte, lag nicht zuletzt an Canellas, dem Siegtorschützen Duvnjak und Marko Vujin, der ab der 20. Minute spielte und acht Tore erzielte. „Heute haben uns Canellas und Vujin sehr wehgetan“, sagte Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen, der verpassten Chancen nachtrauerte: „Wir hatten eine Phase, als wir mit vier Toren vorne lagen und Möglichkeiten hatten, den Vorsprung auszubauen. Da haben wir aber zu viele Fehler gemacht.“ 9:5 führten die Löwen nach 22 Minuten, Torhüter Niklas Landin hatte seine künftigen Kieler Kollegen schier verzweifeln lassen, doch dann holte der THW auf. Jacobsen: „In der zweiten Halbzeit war unsere Abwehr nicht mehr so stark. Zum Schluss haben Kleinigkeiten entschieden.“ Der schwächelnde Regisseur Andy Schmid sagte: „Um gegen Kiel zu gewinnen, müssen alle auf Top-Niveau spielen, das haben wir heute nicht geschafft.“ Andererseits zeigte der Meister nach einigen Anlaufschwierigkeiten eine reife Leistung. Löwen-Abwehrspezialist Stefan Kneer gab zu: „Sie waren ausgebuffter und cleverer.“

Als Gensheimer eine Minute vor Schluss zum 28:28 ausglich, hofften die Zuschauer auf ein Happy End, das aber der THW feiern sollte. Duvnjak, zuletzt gegen Berlin der Matchwinner, traf mit seinem einzigen Tor zum Endstand.

Immerhin eine frohe Botschaft konnten auch die Löwen verkünden: Abwehrchef Gedeon Guardiola verlängerte seinen Vertrag vorzeitig bis Juni 2018.

Rhein-N. Löwen: Gensheimer 8/4, Petersson 5, Myrhol 4, Ekdahl du Rietz 3, Schmid 3, Groetzki 2, Kneer 2, Larsen 1.

THW Kiel: Canellas 9/4, Vujin 8, Klein 5, Wiencek 2, Duvnjak 1, Ekberg 1, Sprenger 1, Toft Hansen 1, Weinhold 1.

Von Reinhard Sogl