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Selbst der Titel ist möglich (RNZ)

Die Löwen schweben nach dem 25:23-Sieg über die Berliner Füchse weiter auf Wolke Sieben

Mannheim. Silvio Heinevetter lief in Richtung Kabine. Halt, Stopp: Silvio Heinevetter hüpfte in Richtung Kabine, sprang hin und her wie ein Dopsball. Von links nach rechts, vor und zurück, völlig außer Kontrolle. Fluchend und schreiend tat er das. Berlins Keeper war fuchsteufelswild, wütend ohne Ende. Und vor allem eins: enttäuscht. Wenige Minuten zuvor hatten die Hauptstädter in der Kurpfalz nämlich eine schmerzhafte Bauchlandung hingelegt. Dort, wo derzeit das deutsche Handball-Herz schlägt, wo etwas Großes zusammenwächst: Die Rhein-Neckar Löwen machten das Dutzend voll, durchbrachen die Berliner Mauer, jubelten über einen 25:23 (11:11)-Sieg.

Zwölf Spiele, zwölf Siege. Eine gigantische Serie. Und die scheint so langsam auch einen mitzureißen, der bislang eher die Spaßbremse, den permanenten Tiefstapler, gab. Gut, Kampfansagen waren Gudmundur Gudmundsson auch nach dem Triumph über Berlin nicht zu entlocken. Doch die Emotionen ließ er diesmal raus, der Trainer. Endlich mal. Gudmi lachte, Gudmi ballte die Fäuste, Gudmi umarmte jeden, der ihm in die Quere kam. So hat man ihn selten gesehen – eigentlich noch nie.

Natürlich hatte er auch was zu erzählen. Er redete viel danach, schwärmte und schwärmte. Von einer tollen Abwehr, von ganz viel Leidenschaft, von zwei Punkten, die sich für ihn wie vier anfühlen und nicht zu vergessen: von 10 975 Zuschauern, die Lärm wie 20 000 machten. Der Isländer: „Diese Stimmung war gigantisch. So intensiv habe ich es hier ehrlich gesagt noch nie erlebt.“ Uwe Gensheimer nickte: „Die Halle war heute voll da, hat uns richtig nach vorne gepeitscht.“ Gesagt hat der Kapitän das in der Mixed Zone – barfuß, mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht. Widerspruch zwecklos. Phasenweise war das Ufo kurz vor dem Abheben. Jeder klatschte, alle feierten.

Der Schlüssel zum Sieg war erneut die Defensive. Oliver Roggisch und Co. errichteten einen gelben Riegel, durch den es zunächst kein Durchkommen für den Champions-League-Teilnehmer gab: Berlin, das mit sieben Feldspielern begann, traf erstmals in der 10. Spielminute, verkürzte auf 4:1. In die Pause ging es dennoch mit einem 11:11-Unentschieden. Zwischenzeitlich sah es dann sogar nach einer Niederlage aus.

Berlin legte zwei Treffer vor (15:17/39.). Doch dann geschah etwas, das zuletzt häufiger geschieht und in der Vorsaison undenkbar war. Die Löwen bissen, kämpften bis zum Umfallen. Angeführt von Alexander Petersson, dem Ex-Berliner, krallten sich die Besten aus dem Südwesten die zwei Punkte. Der Isländer brachte mal wieder das Komplettpaket: Vorne brandgefährlich, hinten bärenstark. Acht Tore und etliche genau getimte Defensiv-Tacklings machten ihn zum Helden.

Zu einem Helden, der er eigentlich gar nicht sein wollte. Petersson, der Ehrliche: „Es fiel mir schwer, mich auf dieses Spiel vorzubereiten. Aber während der Partie habe ich die Verbundenheit zu Berlin und die Freundschaften ausgeblendet.“ Dass es ein Kampfspiel geben würde, war ihm klar. Irgendwie aber auch nicht: „Ich habe mir gedacht, dass es ein kleines bisschen einfacher wird“, gesteht er, „wobei es gegen so einen Gegner natürlich immer schwer ist.“

Sei’s drum, es ist angerichtet. Für das Spitzenspiel, für den Knaller gegen den THW Kiel. Am 28. November ist es soweit. In Mannheim, gegen Kiel, den Titelhamster. Erster gegen Zweiter, die Besten unter sich. Petersson denkt da sicher auch schon dran, gibt es aber nicht zu. „Vor Kiel kommt an diesem Dienstag noch das Spiel in Minden, das wird richtig schwer.“ Was soll er auch anderes sagen. Petersson ist Profi, ein ausgebuffter noch dazu. Trotzdem war ein klitzekleiner Ausblick auf den Nord-Süd-Gipfel erlaubt. Der 32-Jährige: „Ich hoffe, dass gegen Kiel wieder so viele Leute kommen, die sollen jetzt immer kommen. Diese Stimmung war ja unglaublich.“

Zu toppen ist dieser Geräuschpegel eigentlich gar nicht mehr. Höchstens dann, wenn am 28. November auch die Zebras eingefangen werden, der Rekordmeister fällt. Möglich ist das. Denn diesen Löwen ist mittlerweile alles zu zutrauen. Selbst der Titel.

Löwen: Petersson 8, Gensheimer 5, Myrhol 3, G. Guardiola 3, Ekdahl du Rietz 2, Groetzki 1, Sesum 1, Landin Jacobsen 1, Schmid 1.
Berlin: Igropulo 7/3 , Christophersen 4, Jaszka 3, Pevnov 3, Romero 2, Löffler 1, Bult 1, Nincevic 1, Sellin 1.
Stenogramm: 3:0, 7:2, 8:6, 11:10, 11:11 (Halbzeit), 15:17, 18:17, 20:20, 24:22, 25:23 (Endstand).

Von Daniel Hund