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Stärke in der Stille

Löwen bieten den ‘‘DEAFBOYS“ eine Bühne

Alexander Zimpelmann applaudiert in Gebärdensprache

Es ist circa 25 Minuten vor Anpfiff des HBL-Spiels der Löwen gegen den Bergischen HC, als ein Großteil der über 5.000 Zuschauer in der Mannheimer SAP Arena ihre Hände in die Höhe streckt, die Finger spreizt und die Handgelenke nach innen und außen rotieren lässt. Was aussieht wie eine einstudierte Choreografie, ist in Wahrheit eine würdevolle und respektvolle Geste, gewidmet an die ‘‘DEAFBOYS‘‘, die Deutsche Gehörlosen Handball-Nationalmannschaft. Deren Bundestrainer, Alexander Zimpelmann, steht bei Löwen-Hallensprecher Kevin Gerwin am Mikrofon und erklärt die Besonderheiten des Gehörlosen-Handballs. Dabei ist es, anders als es die Bezeichnung „gehörlos“ vermuten lässt, keine „Voraussetzung“ vollständig taub zu sein, sondern als teilnahmeberechtigt gelten Spieler bereits mit einem beidseitigen Hörschaden. So muss, um die offiziellen Regularien zu erfüllen, auf dem besser hörenden Ohr ein Hörverlust von mindestens 55 Dezibel vorliegen.

„Um sich das besser vorzustellen: Mit dieser Hörschädigung würde man von einem Staubsauger lediglich noch ein leises Säuseln wahrnehmen“, so Alexander Zimpelmann. Hörgeräte sowie weitere Hilfsmittel, die zur Verbesserung der Hörleistung oder des Sprachverständnisses beitragen, dürfen während der Spiele allerdings nicht getragen werden. Eine Tatsache, die sowohl die Kommunikation des Trainerteams mit der Mannschaft als auch die Absprachen auf dem Spielfeld zu einer der wichtigsten Trainingseinheit werden lassen: „Die Verständigung auf dem Feld wird im Training abgestimmt. Dort legen wir dann bestimmte Zeichen und Regeln fest, hier arbeiten wir viel mit Berührungen. So kann ein Kontakt einer bestimmten Stelle des Körpers beispielsweiße bedeuten, dass Spieler XY den Platz verlässt. Grundlegend müssen unsere Spieler über einen guten peripheren Blick verfügen und ein starkes Spielverständnis mitbringen. Wir Trainer haben Tablets, in denen wie vieles schriftlich festhalten. Zudem arbeiten wir selbstverständlich auch mit der Gebärdensprache sowie, da einige sehr gut Lippenlesen können, ebenfalls mit der Lautsprache“, erklärt der selbst schwerhörige Bundestrainer.

Stärke in der Stille: Mit breiter Brust zur WM nach Dänemark

Die deafboys bejubeln ihre Silbermedaille

Mit ihrer Teamarbeit und einem großem Ehrgeiz zeigen die deafboys, der Name ist eine Anlehnung an die „DHB-Bad Boys“ der Europameisterschaft 2016, dass Kommunikation keine Grenzen kennt. So sorgt die Mannschaft nicht nur mit ihrer Silbermedaille bei den Deaflympischen Spielen 2022 für Furore, sondern darf sich mit Fug und Recht auf die Fahne schreiben, für eine bedeutende Veränderung in der Wahrnehmung von Gehörlosensport in der Gesellschaft beizutragen. Sich lediglich auf die Sehkraft und einen Teil der anderen Sinne zu verlassen, um das Spiel zu interpretieren und aufeinander abgestimmt zu agieren – ein bemerkenswert Umstand, der nicht nur die Zuschauer in der SAP Arena, sondern ebenso Handball-Fans deutschlandweit zum Staunen bringt.

Den Juni wollen die deafboys, mit dem Rückenwind des Erfolges bei den Deaflympischen Spielen, vergolden und sich in Dänemark den WM-Titel schnappen. „Wir haben Lunte gerochen und konnten jetzt auch noch einmal Spieler hinzugewinnen, die uns mehr Varianten bieten. Ganz klar: Wir wollen Weltmeister werden“, blickt Alexander Zimpelmann auf das bevorstehende Großereignis, welches per Livestream verfolgt werden kann. Das Grundgerüst seiner Mannschaft bilden bei diesem Turnier erneut „Spieler aus der Breite“. Dies sind Akteure, die vorwiegend in den unterklassigen Ligen aktiv sind. Dass es jedoch im deutschen Profi-Handball Spieler gibt, die auch für einen Einsatz bei den deafboys in Frage kommen würden, davon ist Alexander Zimpelmann überzeugt: „In der ersten, zweiten oder dritten Liga gibt es bestimmt Spieler, die einen Hörschaden haben und es wohlmöglich gar nicht wissen, da diese „gehörlos“ mit einem kompletten Hörausfall verbinden.“

Stärke in der Stille: DGSV-Handball sucht Nachwuchsspieler*innen

Im Juni wollen sich die deafboys den WM-Titel krallen

So ist es den Löwen nicht nur ein wichtiges Anliegen, Aufmerksamkeit für die leidenschaftlichen Auftritte der deafboys zu erzeugen, sondern ebenso den DGSV aktiv dabei zu unterstützen, neue Spielerinnen und Spieler für die Nationalteams zu gewinnen. Während sich die deafboys, mit Blick auf die WM 2026, vor allem sukzessive verjüngen wollen, soll in gleichem Atemzuge eine spielfähige Frauen-Nationalmannschaft, die deafgirls, aufgebaut werden. Bisher gab es in der Geschichte des Gehörlosen-Handballs noch keine Frauen-Nationalmannschaft – Zeit, dies zu ändern!

Alles andere als unwahrscheinlich, dass sich, mit Blick auf die Statistik, unter den 5.000 Löwen-Fans potenzielle Spieler beziehungsweise potenzielle Spielerin befinden. So gelten in Deutschland 19 % der Menschen über 14 Jahre als hörbeeinträchtigt, ein Drittel davon als mittelgradig schwerhörig. Beim Duell mit dem BHC wären dies 950 hörbeeinträchtigte, respektive circa 330 mittelgradig schwerhörig Personen in der Mannheimer SAP Arena. In diesem Wissen ist das Gespräch mit dem deafboys-Bundestrainer Alexander Zimpelmann nicht nur ein besonderes Ereignis, sondern auch ein Schritt in Richtung einer inklusiveren Sport- und Handballwelt. Ein Anliegen, welchem die Löwen aus tiefster Überzeugung eine Bühne bieten.