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TBV Lemgo: Neuaufbau mit Beuchler

Es gibt neben dem THW Kiel keine zweite Mannschaft, die die Rhein-Neckar Löwen in der SAP Arena so geärgert hat wie der TBV Lemgo. Die Ostwestfalen bewiesen zuletzt im Vorjahr, wie unangenehm sie für die Badener sind, entführten beim 31:31 einen Zähler aus Mannheim und hätten die Partie auch leicht gewinnen können. Insgesamt gelangen den Löwen in sieben Heimspielen gegen den TBV ganze drei Siege, so dass die Mannschaft von Dirk Beuchler mit breiter Brust in diese Partie gehen wird. Immerhin können sich die Löwen damit trösten, dass sie die letzten drei Gastspiele in Lemgo erfolgreich gestalteten, auch wenn es in der aktuellen Hinserie nur zu einem hauchdünnen 26:25-Erfolg reichte, der erst kurz vor Schluss sichergestellt wurde.

Unter dem neuen Trainer Dirk Beuchler wagten die Lemgoer in der aktuellen Runde einen Neuanfang. Der zeigte sich nicht in erster Linie durch personelle Veränderungen, denn das Gerüst der Spieler blieb gleich. Mit Linkshänder Holger Glandorf verließ den Klub nur ein Leistungsträger – er schloss sich der SG Flensburg Handewitt an. Das eigene Anspruchsdenken änderte sich, mit Geduld und viel Kleinarbeit will sich der Klub neu erfinden – und nutzte dazu ausgerechnet das Jubiläumsjahr. Im Normalfall ist das Jahr des 100. Geburtstags für viele Klubs dazu da, große Ziele auszugeben und ihnen dann hinterherzuhecheln. Die TBV-Verantwortlichen gingen anders vor. Sie feierten am 3. September 2011 eine große Sause und gingen anschließend zum „normalen“ Tagesgeschäft über. Und das bedeutet: Mit ruhiger Hand eine Mannschaft formen, die mittelfristig vielleicht wieder weiter oben angreifen kann.

Der Mann, der das bewerkstelligen soll, ist in Deutschland immer noch ein nicht so bekanntes Gesicht. Dabei hat der ehemalige Kreisläufer eine große Karriere als Spieler hinter sich. Allerdings verbrachte Beuchler die letzten Jahre davon in Spanien und geriert hierzulande etwas aus dem Sichtfeld. Nach fünf Titeln mit der SG Wallau/Massenheim (2x Meister, 2x Pokalsieger, 1x IHF-Pokalsieger) spielte er sechs Jahre für den TuS N-Lübbecke und wechselte anschließend im Jahr 2001 zu SDC San Antonio nach Spanien. Mit diesem Klub feierte er 2002 die spanische Meisterschaft und stand ein Jahr später im Endspiel der Champions League, wo er mit seinem Team jedoch gegen den französischen Meister Montpellier HB verlor. Ein Jahr später tröstete sich San Antonio immerhin mit dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger.

Als Trainer kehrte Beuchler 2009 nach Deutschland und zum SV Post Schwerin zurück, wo er zwei Jahre lang erfolgreiche Arbeit leistete, ehe er im zurückliegenden Jahr das Angebot vom TBV annahm. „Ich sehe als Trainer im Lemgo eine super Chance, mich mit einer relativ jungen Truppe bei einem Traditionsverein zu beweisen“, sagt Beuchler und bekommt Unterstützung von Geschäftsführer Volker Zerbe. „Dirk macht klare Ansagen, bei denen jeder Spieler weiß, woran er ist. Bei ihm gibt es wenig Toleranz, dafür viel Spaß“, berichtet der frühere Nationalspieler zufrieden.

Als Tabellensiebter hat der TBV Lemgo den Anschluss an die Spitze des Klassements zwar etwas verpasst, doch die Ostwestfalen schielen ohnehin vielmehr auf die Qualifikation für den internationalen Wettbewerb. Dass die Lemgoer aber durchaus die Qualität haben, um auch mit den besten Teams der Liga mitzuhalten, haben sie in den zurückliegenden Wochen bewiesen. Im Heimspiel gegen die Übermannschaft aus Kiel lag der TBV lange in Führung und musste sich erst nach einem starken Schlussspurt der Kieler doch noch mit 25:31 geschlagen geben. „Das war das schwerste Spiel bisher in der Saison“, sagte THW-Coach Alfreð Gíslason nachher.

Nicht einmal eine Woche später hatten die Lemgoer den HSV Hamburg am Rande eine Niederlage. Zwischenzeitlich führten sie beim amtierenden deutschen Meister mit vier Treffern und fünf Minuten vor dem Ende stand es immer noch Unentschieden. Erst danach konnten sich die Hamburger etwas glücklich mit 31:30 durchsetzen. „Wir brauchen nur diese beiden Partien sehen und wissen, dass wir Lemgo nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfen“, sagt Guðmundur Guðmundsson, der viel Respekt vor dem kommenden Gegner in der Bundesliga hat.

In den Wochen seit der EM-Pause im Januar hat sich der Klub, der zu Beginn des Jahrtausends als „TBV Deutschland“ tituliert wurde, konstant verbessert. Nach der durchwachsenen vergangenen Spielzeit zeigt der Daumen bei den Ostwestfalen wieder nach oben. Mittlerweile hat sich das Umfeld auch damit abgefunden, dass die großen Zeiten des Klubs vorerst vorbei sind.

Nur selten schweifen die Gedanken ein paar Jahre zurück, als der TBV zu den Vorzeigevereinen der Republik zählte. 1997 – unter dem späteren Löwen-Coach Iouri Chevtsov – feierten die Lipperländer ihre erste Meisterschaft und sechs Jahre später sorgten sie mit einer kleinen Handball-Revolution für Titel Nummer zwei. Volker Mudrow, zu dieser Zeit zum ersten Mal Coach in Lemgo, ersann die „Schnelle Mitte“, mit der er die Regeländerung, nach der der Anwurf nach einem gegnerischen Torerfolg erfolgt, sobald der Ball am Anspielpunkt ist, perfekt umsetzte. Eine komplette Saison hielt der Ideenvorsprung der Lemgoer, die souverän wie keine Mannschaft zuvor die Meisterschaft holte. 62:6-Punkte waren das Resultat des neu erschaffenen Tempo-Handballs, das bis vor drei Jahren unübertroffen blieb, ehe der THW Kiel 65:3-Punkte erreichte.

Damals prägte die Öffentlichkeit den Begriff „TBV Deutschland“, weil die tragenden Säulen der Lemgoer Meistermannschaft jene bildeten, die auch bei Heiner Brand die entscheidenden Figuren waren. In dem Team, das 2004 im olympischen Finale von Athen knapp gegen Kroatien verlor, standen sechs TBV-Akteure. Markus Baur, Florian Kehrmann, Daniel Stephan, Volker Zerbe, Christian Ramota und der spätere Rhein-Neckar Löwe Christian Schwarzer bildeten viele Jahre sowohl im Klub als auch bei der Nationalmannschaft eine Achse.

Vor drei Jahren sollten weitere goldene Jahre „erzwungen“ werden, was sich auf dem Feld allerdings nicht niederschlug und am Ende dazu führte, dass der Klub in finanzielle Schieflage geriet und nur mit einem strengen Sparkurs wieder auf Kurs kam. Aus dieser Zeit hat man in Ostwestfalen die Lehren gezogen und versucht nun ein Team aufzubauen, dass Perspektive hat und gleichzeitig vom Publikum angenommen wird. Zumindest Zweiteres ist schon gelungen, denn die Zuschauerzahlen sind in der aktuellen Spielzeit ansteigend, nachdem sie im Jahr davor erschreckend eingebrochen waren.

In den kommenden Jahren soll die Mannschaft sukzessive verjüngt und mit Integrationsfiguren ausgestattet werden. Eine davon ist Martin Strobel. Der Spielmacher absolviert aktuell seine vielleicht stärkste Saison, seit er 2008 nach Lemgo kam, überzeugte zuletzt auch in der Nationalmannschaft und die TBV-Verantwortlichen sind froh, ihn kürzlich bis 2014 an sich gebunden zu haben. Strobel ist ein Mosaikstein für Beuchler und den TBV auf dem Weg hin zu besseren Zeiten.