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Titel-Kandidat Rhein-Neckar Löwen: Zum Topteam gespart (Spiegel online)

Die Rhein-Neckar Löwen haben eine erstaunliche Entwicklung genommen: Vor zwei Jahren war der Klub am Ende, am Samstag könnte er deutscher Handball-Meister werden. Den Aufschwung verdankt der Verein vor allem dem Trainer – der nun geht.

Als die Rhein-Neckar Löwen vor ziemlich genau einem Jahr den EHF-Pokal und damit den ersten Titel in der Klubgeschichte gewannen, musste Thorsten Storm improvisieren. „Wir werden wohl eine Vitrine kaufen müssen“, scherzte der Manager im Rausch der Emotionen. In der Realität behalfen sich die Löwen anders. Der Europapokal wandert zwischen der Geschäftsstelle in Mannheim und den Schreibtischen einiger wichtiger Sponsoren hin und her.

 

„Wenn wir Deutscher Meister werden, kaufen wir eine Vitrine“, sagt Storm nun kurz vor Ende des Titelrennens – und meint die Ankündigung diesmal ernst.

Es ist gar nicht lange her, da war die Meisterschaft der Löwen ein ferner Traum. Storm war noch vor zwei Jahren allein damit beschäftigt, die Scherben eines geplatzten Traums aufzukehren, der mit Großmannssucht verfolgt worden war. Nach demRückzug des Geldgebers Jesper Nielsen, einem Schmuckbaron aus Dänemark, ging es nicht mehr um Titel, sondern ums nackte Überleben. Hätten die Gläubiger nicht Kulanz gezeigt und die Spieler auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet, wäre den Löwen das passiert, was dem HSV Hamburg in diesen Tagen droht: ein finanzielles Fiasko und der Lizenzentzug.

Das Paradoxon: Genau in diesem Moment wurde die Löwen-Mannschaft geboren, die mit einem klaren Sieg beim VfL Gummersbach an diesem Samstag (16 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: Sport1) die Meisterschaft perfekt machen kann.

Spannendstes Titelrennen seit 2001

Im Profisport sind große finanzielle Mittel eine Voraussetzung für Erfolg – gleichzeitig aber auch die größte Gefahr. Beim Klub aus dem Südwesten scheiterten die Verantwortlichen bis zum Sommer 2012 stets an den hohen eigenen Ansprüchen und den ständigen personellen Wechseln. „Oft wurde nach der Torschützenliste eingekauft, aber die Mannschaft hatte nicht die richtigen Charaktere“, sagt Oliver Roggisch, der seit 2007 bei den Löwen ist und seine Spielerkarriere mit der Meisterschaft krönen möchte, ehe er im Sommer aufhört.

Nach dem Verkauf etlicher Großverdiener stellte sich um Trainer Gudmundur Gudmundsson und die Mannschaft etwas ein, was bis dahin unbekannt bei den Löwen war: Ruhe. Mit kleinem Geldbeutel baute der Isländer ein neues Team und lag mit dem Schweden Kim Ekdahl Du Rietz, dem Isländer Alexander Petersson, den spanischen Zwillingen Isaias und Gedeon Guardiola sowie dem dänischen Torwart Niklas Landin ausschließlich richtig.

Sie alle stellen den persönlichen Erfolg hinter den des Teams. „Diese Mannschaft hält zusammen, egal was kommt“, sagt Roggisch. Er selbst ist das beste Beispiel, denn er stand in diesem Jahr auch aufgrund von Verletzungen keine Minute mehr dem Feld und verzichtete dennoch darauf, deshalb öffentlich Stunk zu machen.

Spannung wie 2000/2001

Ein letzter Impuls auf dem Weg zum möglichen Titel war die überraschende Ankündigung von Gudmundsson, den Klub im Sommer zu verlassen und Nationaltrainer in Dänemark zu werden. Seither sind die Mannschaft und ihr Trainer noch enger zusammengerückt. Zum Abschied soll der Titel her: Das ist die unausgesprochene, aber doch jedem bekannte Abmachung.

Vor der Erfüllung der Absprache stehen nur noch 60 Minuten beim VfL Gummersbach und der THW Kiel. Der Serienmeister hat wie die Löwen 57:9-Punkte und das um sieben Tore schlechtere Torverhältnis. Das bedeutet, dass ein knapper Löwen-Sieg in Gummersbach nicht reicht, falls die Kieler im Parallelspiel einen Kantersieg gegen die Berliner Füchse landen.

So spannend war die Entscheidung über die Meisterschaft zuletzt in der Spielzeit 2000/2001, als der Tabellenzweite SC Magdeburg am letzten Spieltag Spitzenreiter SG Flensburg-Handewitt empfing. Die Magdeburger siegten 30:23 und gewannen den Titel. Es war das bislang letzte Mal, dass der Tabellenführer am letzten Spieltag noch Rang eins verlor. Gut möglich also, dass sich die Rhein-Neckar Löwen demnächst eine Vitrine anschaffen müssen.

Von Michael Wilkening

Spiegel online